Die „erste große Veranstaltung im Osten Deutschland“ – so klassifiziert ein Bericht in DGPh Intern die Tagung „Photographische Sammlungen in Ostdeutschland“ und die Verleihung des Kulturpreises an Evelyn Richter im Mai 1992. Sie fand unter denkwürdigen Umständen an einem besonderen Ort statt. Die „Kamerastadt Dresden“, das europäische Zentrum der Photo- und Kinoindustrie über knapp 100 Jahre, hatte mit dem Beschluss der Treuhandanstalt zur Liquidierung des großen volkseigenen Konzerns VEB Pentacon Dresden im Herbst 1990 ein abruptes und unerwartetes Ende gefunden. Etwa 7.000 Einwohner der Stadt verloren allein in diesem wichtigen Industriezweig ihre Arbeit. Zugleich inszenierte sich ein obskurer US-Amerikaner namens John H. Noble als Retter der Dresdner Photoindustrie, doch war dies nur eine Volte im vor sich gehenden sozialen Drama. In den Hochschulen tagten die Evaluierungskommissionen und der euphemistisch „Elitentransfer“ West–Ost genannte Prozess gewann an Geschwindigkeit.

Evelyn Richter, 1992, Photo: Barbara Klemm
Evelyn Richter, 1992, Photo: Barbara Klemm

Von all dem bekamen die Teilnehmer*innen der Führungen durch einige bedeutende photographische Sammlungen in Dresden kaum etwas mit. Einen Höhepunkt stellte die Einweihung des neu eingerichteten Hermann-Krone-Archivs in den Räumen des ehemaligen Wissenschaftlich Photographischen Instituts der TU Dresden dar. Der Tagungsbericht spricht von der „feuchtheißen Atmosphäre“ beim anhaltenden Defilee akademischer Zelebritäten. Tatsächlich war der historische Vorlesungssaal zum Bersten gefüllt und hermetisch verschlossen, um Projektionen zu ermöglichen und es herrschte schließlich quälende Luftknappheit. Die Eröffnung des Archivs mit der vom Deutschen Photoindustrie-Verband geförderten Klimaanlage durch die Hüterin des Vermächtnisses von Hermann Krone, Dr. Irene Schmidt, war auch deshalb von tiefem Aufatmen begleitet. Auf diese Weise hat sich das Ereignis auch ins Körpergedächtnis der Teilnehmenden eingegraben.

Urkunde Evelyn Richter
Urkunde Evelyn Richter

Ein weiteres Defilee boten die Einführungsvorträge der Vertreter*innen ostdeutscher Sammlungen zur Photographie während einer Tagung im Dresdner Stadtmuseum. Geradezu zwangsläufig war von einem Status quo die Rede, der von Unsicherheiten geprägt war. Leichte Irritationen rief der Vortrag von Richard Hummel nicht nur bei den weniger Technikbegeisterten hervor, als in scheinbar endloser Reihung Dresdner Spiegelreflex-Kameramodelle im Lichtbild präsentiert wurden. Der Verfasser des großen „Hummel", des 1994 datierten Standardwerks einer rein deskriptiven Technikgeschichte des Dresdner Kamerabaus, referierte über eine gerade abgebrochene Industrietradition. Natürlich stellte sich bei der Vorstellung des Konzepts für ein künftiges Photomuseum Dresden durch seinen Gründungsdirektor Dr. Gerhard Jehmlich vom Technischen Museum Dresden schon die Frage, ob die Musealisierung der bisherigen Produktionsstandorte eine tragfähige Lösung darstellen könne.

Wie steht es ansonsten mit den Erinnerungen eines aktiven Teilnehmers? Da waren die souveränen Worte von Diether Schmidt, dem bedeutenden ostdeutschen Kunsthistoriker und Kurzzeit-Rektor, zum Werk von Evelyn Richter in der Ausstellung ihrer Werke in der Hochschule für Bildende Künste. Da war der recht frisch berufene Ministerpräsident eines neugegründeten Freistaates Sachsen, Kurt Biedenkopf, im Kreis seiner mit einer „Buschzulage“ für den Osten zusätzlich alimentierten Beamten auf Tuchfühlung mit den Feiernden. Und auf diese Weise auch in Reichweite der dringenden Aufforderung einer prominenten DGPh-Vertreterin, doch endlich etwas für die neuen Photographie-Lehrstühle in Leipzig zu tun. Und da war, last but not least, die erste Begegnung des sich Erinnernden mit seinen künftigen Arbeitsstätten – dem Krone-Archiv, dem Kupferstich-Kabinett und den Technischen Sammlungen Dresden in ihrer Entstehungsphase.

Andreas Krase