Foto: Ursula Edelmann am 16.6.2021 im Kunstraum Bernusstraße in Frankfurt in ihrer Ausstellung „Ein Leben für die Fotografie“, © Martina Mettner
Foto: Ursula Edelmann am 16.6.2021 im Kunstraum Bernusstraße in Frankfurt in ihrer Ausstellung „Ein Leben für die Fotografie“, © Martina Mettner

Ursula Edelmann war schon emanzipiert, bevor man das so nannte. Sie folgte nicht Konventionen, sondern strebte nach Perfektion. Bis zuletzt war sie Mitglied der DGPh. Am 7. Dezember 2024 verstarb sie 98jährig in einem Pflegeheim in Hamburg, nachdem ihr Sohn sie aus Frankfurt am Main in seine Nähe geholt hatte. Die Beisetzung findet am 9. Januar 2025 um 12.45 Uhr auf dem Südfriedhof in Frankfurt statt. 

Ursula Edelmann stammte aus einem bildungsbürgerlichen Elternhaus in Berlin, geboren am 30. März 1926, in den goldenen Zwanzigern, und der Musik wie der bildenden Kunst sehr zugetan. Und dann wollte sie unbedingt Fotografin werden! Das war definitiv kein Beruf für eine Tochter aus gutem Hause. Sie bewarb sich im Atelier des bekannten Potsdamer Fotografen Max Baur. Nun war die Beziehung zwischen Max Baur und Ursula Pomplitz zwar die von Lehrherr und Gesellin, aber ginge es nicht um das Handwerkliche, sondern um bildende Kunst, dann würde man von ihr als Meisterschülerin sprechen.

Das ist insofern von Bedeutung, als sich bei Ursula Edelmann die Kunst aus dem Handwerk entwickelte und nicht, wie heute üblich, von vornherein beschlossen wurde, Kunst zu produzieren. Stilistisch betrachtet war Max Baur neusachlich orientiert, aber mit einem piktoralistischen, der ausklingenden Ära der Kunstfotografie geschuldeten Akzent. Allzu Avantgardistisches kam für ihn schon deshalb nicht infrage, weil er vom Verkauf seiner Aufnahmen lebte und sich von seinem Selbstverständnis her dem Handwerklichen verpflichtet fühlte. "Handwerker müssen wir sein", schrieb er am 10. November 1948 in einem Brief an Ursula, "im besten Sinne des Wortes, wenn wir bestehen wollen vor den Gesetzen der Kunst, wenn wir wirkliche Bilder schaffen wollen und nicht nur Abbilder als simpler Abklatsch der Natur."

Zu den hohen Standards, die er als Lehrmeister vertrat, gehörte die Verwendung der Großformatkamera, wie man sie für die Architekturfotografie benötigt, und die Kunst, Licht zu setzen. "So können wir Lichtbildner kaum etwas mehr verehren als dieses Licht", schrieb er. „Mit ihm allein schaffen wir Bilder.“

Ursula hätte im Atelier Baur einen sicheren Job gehabt, aber was macht sie mit Anfang Zwanzig? Meldet sich auf eine Personalanzeige aus Frankfurt am Main. Man stelle sich das vor. Ende des Krieges, Frankfurt zerstört, aber Ursula stellte es sich vor wie Heidelberg, nur größer, und wunderte sich dort angekommen, dass sie alles zu Fuß erledigen konnte.

Den Umständen geschuldet, zog sie nun auch noch in eine Wohngemeinschaft. Mit Männern! Gut, das waren angeblich zwei alte Junggesellen, von denen der eine Stumpen rauchte, und die Asche ins Essen fallen ließ.

Nicht einmal ein Jahr lang hielt sie es in der festen Anstellung aus. „Die Firma war furchtbar“, fand sie und machte sich selbstständig. Einfach so, als Anfängerin in einer fremden Stadt. Ganz schön mutig. 
Unter den gegebenen Umständen war es für sie vollkommen selbstverständlich, das abzulichten, was gebraucht wurde. Daher auch der Begriff „Gebrauchsfotografie“ für das, was sie machte, nämlich Architektur- und Produktfotografie, später vor allem Sachaufnahmen von Kunstwerken.   

Quasi Dank einer Party, vornehm Atelierfest genannt, wurde Ursula Edelmann zur Fotografin des Wiederaufbaus. Dort lernte sie nämlich einen gewissen Josef vom Baudezernat kennen, der sie beauftragte, für die jährlichen Rechenschaftsberichte des Hochbauamtes zu fotografieren. In Frankfurt mussten über 60 Prozent der bestehenden Schulen und über 80 Prozent der Turnhallen instandgesetzt werden.

Wie gerade das ganz und gar Ungekünstelte, das rein Dokumentarische zur Kunst wird, das zeigt sich bei Ursula Edelmann in besonderem Maße an einer Aufnahme aus der Reihe der Schulbauten, die ihr im Übrigen alle wunderbar gelungen sind.

1956 fotografierte sie die Doppel-Turnhalle der Kuhwald- und Philip-Reis-Schule. Frisch und menschenleer sieht die neu erbaute Halle aus.

1956 Turnhalle der Kuhwald-, jetzt Georg-Büchner-Schule © Ursula Edelmann
1956 Turnhalle der Kuhwald-, jetzt Georg-Büchner-Schule © Ursula Edelmann

Betrachtet man die Aufnahme in Ruhe, dann hört man das Quietschen der Turschuhe auf dem Eichenparkett. Dann sieht man die Sportlichen, die mühelos über das Pferd grätschen, und die Ungelenken, die selbst mit Anlauf und Sprungbrett oben auf dem Bock sitzen bleiben. 

Ein zeitlos gültiges Foto wird zur Projektionsfläche. Der eigene Sportunterricht wird erinnert, Betrachtende finden Bezüge zur eigenen Lebensgeschichte in dem Bild. Damit geht diese Fotografie über das rein Dokumentarische hinaus und leistet, was ein Rezipient gemeinhin von Kunst erwartet. Leider währte die produktive und glückliche Zeit der Arbeit für das Hochbauamt nicht ewig. Mit dem Beginn des U-Bahn-Baus war grob der Wideraufbau abgeschlossen und die Mittel für deren fotografische Dokumentation versiegen.

Nun wurden verstärkt lokale und internationale Unternehmen Ursula Edelmanns Kunden. Noch bis 1987 war sie zum Beispiel Hausfotografin der Maschinenfabrik Petzholdt. Extra mit einem Kran wurde für die Aufnahmen schwarzes Tuch aufgezogen, damit sie die großen Rührmaschinen ohne störenden Hintergrund fotografieren konnte. Nachts natürlich, wenn der Betrieb ruhte. Noch bis weit in die Sechzigerjahre wurden ihre handgefertigten Barytabzüge als Verkaufsunterlagen an die Vertreter verteilt. Später ließ auch Petzholdt Kataloge drucken.

Und dann war sie auch als berufstätige Mutter ihrer Zeit voraus. 1960 heiratete sie, wiederum ziemlich unkonventionell, einen Studenten der Kunstgeschichte. 1963 kam ihr Sohn Thomas zu Welt. Da war sie 37, was seinerzeit ungewöhnlicher war als heute.

Sie fand eine freie, aber regelmäßige Beschäftigung als Fotografin am Museum, dem Städel. Und Thomas war sicherlich das einzige Kind, das den Nazarener Saal als Rennstrecke für seine Spielzeugautos benutzen durfte, während Ursula Edelmann montags nebenan im Fotoraum die Kunstwerke fotografierte.

Teppauf, treppab mit der schweren 13 x 18 Kamera und den Lampen: Im Liebighaus, im Goethehaus, im Museum für Kunsthandwerk. „Ich habe da in Winkeln fotografiert, da war nicht mal ein Hintergrund anzubringen“, sagt sie. „Furchtbar! Die haben auch unentwegt umgeräumt vom Keller auf den Dachboden. Und ich immer mit dem schweren Koffer hinterher!“ 

Für die Bestandskataloge des Liebighauses hat sie Skulpturen von vorne, von hinten und von der Seite fotografiert. Immer mit dem für sie typischen Einfühlungsvermögen und einem ausgeklügelten Licht. 
Nun könnte man meinen, zu fotografieren bedeute ja stets, das Dreidimensionale ins Zweidimensionale zu bringen. Aber genau hier kommt das Handwerkliche ins Spiel: Ursula Edelmann gehörte eben noch zu jenen, die nicht einfach ablichten. Ob Architektur, Skulptur oder Maschine, bei ihr hat eine Ansicht auf Papier stets Raumwirkung.  

Sechzehnstundentage waren für sie keine Seltenheit. Die Planfilme zu entwickeln, die Vergrößerungen anzufertigen und diese auf Hochglanz zu trocknen, das ließ sich nicht nebenbei erledigen. Und dann das Ausflecken! Nächtelang saß sie mit dem Pinsel über den Abzügen, um feinste Staubpünktchen zu beseitigen.

In unseren digitalen Zeiten vergißt man leicht, mit welchen Mühen die Arbeit als Fotografin von Kunstwerken verbunden war. Jeder Wissenschaftler, der ein Abbildung anforderte, wurde bedient, Auflagen für Pressezwecke mussten hergestellt werden, Ausstellungskataloge wurden von ihr bebildert. 

Früher haben die Kunsthistoriker ausschließlich schwarzweiße Fotos als Anschauungsmaterial gehabt, wenn sie das Original nicht aufsuchen konnten. Was und vor allem wie gut Frau Edelmann nicht nur Skulpturen, sondern auch Tafelbilder darstellte, war enorm wichtig und hat viel zur Reputation der Frankfurter Kunst in aller Welt beigesteuert. (Als ich in den 2000er-Jahren ihre Dunkelkammer benutzen durfte, klingelte es immer wieder an der Tür und Mitarbeiter des Städel kamen vorbei, um etwas nachzufragen oder abzuholen.)

Damals, sie war in ihren Siebzigern, hat sie nicht an Ruhestand gedacht, sondern sich noch einmal neu definiert. Aus der Gebrauchsfotografin wurde die Künstlerin, die seit 2002 ihre Arbeiten ausstellte und Werke an private und öffentliche Sammlungen verkauft. 2018 wurden fünf Ihrer Bilder, die von den Rührmaschinen, vom Städel für dessen Sammlung angekauft. Mit eigenen Werken in der Institution vertreten zu sein, in der sie Jahrzehnte lang im Dienst der Kunst arbeitete, ist sicher die schönste Anerkennung ihrer Leistung.  

Martina Mettner, DGPh (ursprünglich verfasst als Rede anlässlich einer Ausstellung zu ihrem 95. Geburtstag)