Ramon Navarro, Schauspieler 1936 © Annemarie Heinrich
Ramon Navarro, Schauspieler 1936 © Annemarie Heinrich
Drei fesselnde Fotos von Annemarie Heinrich (Darmstadt, 1912 - Buenos Aires, 2005) - Drei Fotoausstellungen in Berlin

Annemarie  Heinrichs Porträt des weltberühmten MGM-Stummfilmstars Ramón Navarro entstand 1936 in Argentinien und kann einer hyper-zeitgenössischen Ästhetik zugeordnet werden. Sieben Jahre zuvor  hatte Navarros Fotografie von George Hurrel durch eine Verkettung von Umständen Letzteren in die MGM Studios katapultiert. Annemaries Aufnahmen und auch ihre Art zu arbeiten gefielen Navarro so sehr, dass er sie überreden wollte, nach Hollywood zu gehen. Er würde ihr helfen sich einzuleben, sie sollte dort Schauspieler*innen fotografieren. Anne dachte zwar darüber nach, aber als er sie einige Tage später erneut fragte, lehnte sie mit der Begründung ab, sie habe eine Familie, die auf sie angewiesen sei. Zu diesem Zeitpunkt war sie aber weder verlobt noch verheiratet.

 Bola de Nieve (Kubanischer Sänger) 1946 © Annemarie Heinrich
Bola de Nieve (Kubanischer Sänger) 1946 © Annemarie Heinrich

Eines der bekanntesten Porträts vom kubanischen Sänger Bola de Nieve (Spanisch für Schneeball) entstand 1946, hing 1954 am ADOX Stand der dritten Photokina und ist nun im Willy-Brandt-Haus zu sehen. Beim Fotoshooting fand Bola de Nieve Gefallen an Annemaries Schwester, der hübschen blonden, blauäugigen Ursula: sie alberten gemeinsam für Spaßfotos herum, die natürlich nicht der Öffentlichkeit zugänglich sind.

1991 sorgte ein Foto für große Aufregung im machohaften und streng katholischen Viertel Recoleta in Buenos Aires. Aufgrund der Beschwerde einer Passantin, die das Aktbild XXI der argentinischen Schauspielerin Tilda Thamar (1946) in Annemaries Atelier-Schaufenster für obszön hielt, schloss die Polizei das Studio und ließ paradoxerweise das Foto in der Vitrine hängen, denn das „Beweismittel“ musste weiterhin vor Ort bleiben und das Fenster mit einem großen schwarzen Tuch bedeckt. Der Vorfall löste ein großes Echo in der Öffentlichkeit und der Presse aus, die Heinrichs Arbeit verteidigte. Schließlich wies ein Richter die Klage ab, erkannte das Bild der „argentinischen blonden Sexbombe“ als Kunstobjekt, und das Studio konnte wieder öffnen.

Akt XXI Tilda Thamar 1946 © Annemarie Heinrich
Akt XXI Tilda Thamar 1946 © Annemarie Heinrich

Bis Ende September 2024 sind im Willy-Brandt-Haus in Berlin neben der o.g. Fotos, Heinrichs berühmten Ballettaufnahmen, Porträts aus der Künstler- und Unterhaltungsszene Argentiniens, usw. auch einige von den Porträtierten selbst signierten Vintage Prints zu sehen. Fast zeitgleich findet eine Ausstellung im Ibero-Amerikanischen Institut Berlin mit Porträts von Schriftsteller*innen wie Silvina Bullrich, Jorge Luis Borges oder María Elena Walsh statt. Am 6. September wird in der Botschaft der Republik Argentinien die dritte Ausstellung mit Bildern aus der Serie Tabarís (1935-1941) eröffnet. Stars des symbolträchtigen Revuetheaters Tabarís, eines der wichtigsten Nachtlokale für die Oberschicht und die Bohème des damaligen Buenos Aires, sind hier dank Annemaries Kamera glamourös und voller Sinnlichkeit verewigt.

Diese drei Ausstellungen, deren Konzept, Produktion und Gestaltung Lutz Matschke & Renata Jonic bewerkstelligten, zeigen das Lebenswerk einer Deutschen, die sich im Süden Lateinamerikas unermüdlich der Fotografie widmete, um mit ihrem Engagement hinter der Kamera eines der stärksten visuellen Zeugnisse des zwanzigsten Jahrhunderts zu hinterlassen. Klassische abstrakte und symbolische Schwarz-Weiß-Fotografien, Akte, Selbstbildnisse und Serien über Buenos Aires und den berufstätigen Frauen zeugen von Heinrichs ästhetischer und thematischer Variationsbreite.

Lutz Matschke (DGPh)
Kurator und Leiter des Zentrum für Fotorestaurierung und Fotoforschung
Berlin, August 2024

Eckdaten zu allen drei Ausstellungen: 
Annemarie Heinrich, Fotografien zwischen Deutschland und Argentinien 1933-1987
Willy-Brandt-Haus, Galerie I, Stresemannstr. 28, 10963 Berlin, 3. OG:  
Ausstellungsdauer: 19.07.24 bis 29.09.2024 (Di.-So. 12:00-18:00 Uhr).

Von Berlin nach Buenos Aires: Die Fotografin Annemarie Heinrich (1912 – 2005) und das literarische Leben Argentiniens
Ibero-Amerikanisches Institut - Preußischer Kulturbesitz - Lesesaal
Potsdamer Straße 37, 10785 Berlin 
Ausstellungsdauer: 20.07.24 bis 28.9.2024. (Mo.- Fr. 08:00–19:00 / Sa. 08:00–13:00)

Die Fotografin Annemarie Heinrich. Berlin - Buenos Aires - Berlin
Botschaft der Republik Argentinien
Von-der-Heydt-Str. 2 - 1. OG, 10785 Berlin 
Vernissage: Fr. 06.09.24 um 17.30.
Ausstellungsdauer: 06.09.24 bis 25.10.24. (Mo.-Fr .09:00-13:00 und 14:00-17:00)

Annemarie Heinrichs Werke befinden sich in zahlreichen Sammlungen wie der National Gallery of Art (Washington, D.C.); The Metropolitan Museum of Art, New York MET; Museum of Modern Art, New York MoMa; Musée de la Photographie à Charleroi, Belgique; Museo de Arte Latinoamericano de Buenos Aires MALBA; Museum of Fine Arts, Houston, U.S.A.; Museo Nacional de Bellas Artes MNBA, Buenos Aires; Museo Moderno MMK Buenos Aires, u.a.

Katalog “Annemarie Heinrich inKomplett”. Madrid: Paripé Books, Juni 2024. 190 Seiten, Hardcover, Texte dreisprachig (Deutsch/Spanisch/Englisch). ISBN: 9788412665451

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