Unglaubwürdige Fotos vom Papst im Balenciaga-Outfit auf Twitter
Unglaubwürdige Fotos vom Papst im Balenciaga-Outfit auf Twitter
Ein Blick zurück nach vorne anlässlich der Infragestellung fotografischer Realitätserfassung und deren Wahrnehmung durch generative KI-Anwendungen von Martina Mettner

Fotografie ist traditionell mit einem hohen Maß an Glaubwürdigkeit ausgestattet. Aktuelle Beispiele wie ‚Balenciaga-Papst‘ demonstrieren bereits, dass diese sogenannten Deep Fakes technisch von Nachrichtenbildern kaum zu unterscheiden sind. Da sich nun ganz simpel mit ein paar Texteingaben vermeintliche Bildbeweise erzeugen lassen, muss dies natürlich Anlass zu Besorgnis sein.

In den letzten Wochen wird vermehrt die Befürchtung geäußert, es stehe gar die Demokratie auf dem Spiel, da Manipulationen nun so einfach geworden sind. Selbstverständlich muss ganz dringend die Medienkompetenz bereits bei Kindern geschult werden. Und wichtig ist nun noch mehr als bisher, auf vertrauenswürdige Quellen zu achten. Das können Fotografinnen und Fotografen sein, die ihr Bildmaterial als fotografiert ausweisen, sowie Nachrichtenagenturen, die Bildquellen nun ebenso prüfen, wie dies bei Texten oder Aussagen geübte Praxis ist. Ein sehr hilfreicher Aspekt dabei ist, dass wir im Zeitalter der Augenzeugen leben. In der Regel gibt es heutzutage (vor allem bei gesellschaftlich relevanten Ereignissen) eben nie nur einen einzelnen Bildbeleg, sondern immer diverse Quellen.

Im Zeitalter der Augenzeugen

Seit 2005 beim Anschlag auf die Londoner U-Bahn zum ersten Mal Fotos direkt vom Unglücksort an die Medien gesendet wurden, sind wir alle Zeugen. Schon für die Berichterstattung über die Tsunami-Katastrophe am 26.12.2004 griffen die Medien zur Illustration wesentlich auf Film- und Bildmaterial von Touristen zurück. Und die Fotos der Misshandlungen in Abu Ghraib stammten ebenfalls von Beteiligten und nicht von Journalisten.

Wenn es eines Beweises für das Zeitalter der Augenzeugen bedurft hätte, dann lieferte ihn die Amtseinführung von Präsident Obama im Januar 2009: Elliott Erwitt fotografierte bei einem der Bälle die ungezählten, aufleuchtenden Displays von Mobiltelefonen, mit denen der Präsident und seine Frau fotografiert wurden. Nichts geschieht mehr undokumentiert. Jeder kann teilhaben und Informationen sind frei zugänglich. Kein totalitäres Regime kann heute noch verhindern, dass Dokumente von Übergriffen binnen Sekunden in die ganze Welt gesendet werden.  

Unbemerkt haben wir inzwischen ein Bewusstsein entwickelt, mit unserem Smartphone Teil des Netzes zu sein, das uns weltweit potenziell mit allem und jedem verbindet. Und wir sind genau darum alle vorsichtiger und skeptischer geworden. Wer ein Produkt kauft oder eine Übernachtung buchen will, vertraut nur noch selten einem einzigen Testimonial, geschweige einem geschickten Verkäufer in einem Geschäft. Das Geschäft heißt heute Twitter oder Facebook. Jeder hat die Option, sich außerhalb seiner primären Informationsquelle weitere Informationen zu beschaffen. Wir lernen tagtäglich mit diesen Veränderungen umzugehen. So wie wir echte E-Mails von Phishing-E-Mails unterscheiden, so werden wir echte Nachrichten von falschen zu unterscheiden lernen (müssen).

Schon in der Vergangenheit war die Frage an eine Abbildung nicht: „Ist es wahr?“, sondern: „Ist es wahrscheinlich?“ Von Nachrichtenmedien wird seit der Berichterstattung des russischen Überfalls auf die Ukraine darauf hingewiesen, wenn die Authentizität des Materials nicht verifiziert werden konnte. Das ständige Hinterfragen aller visuellen oder textlichen Behauptungen muss zur zweiten Natur werden; diese journalistische Praxis zur alltäglichen für Jedermann.

Trauerrand um den entscheidenden Moment

Die Vorstellung von Fotografie ist im heutigen Zeitalter des digitalen Bildes noch vielfach geprägt vom 20. Jahrhundert und der Relevanz gedruckter Magazine.     

Kritisch betrachtet war der Fotograf damals oft der Voyeur und agierte ohne Verantwortung gegenüber seinen Motivgebern. Reportagefotografen reisten an einen Ort, machten ihre Fotos und verschwanden. Das entsprach dem Lebensgefühl. Man war froh, den Krieg überlebt zu haben. Alle waren Brüder und „The Family of Man“. Man fotografierte, als habe das keine Konsequenzen für die Abgebildeten und als gäbe es kein Recht am eigenen Bild. Man rauchte und aß ja auch, als gäbe es keine Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

„Erst kommt das Foto, dann die Moral“ heißt ein Kapitel in „Rückblenden“, den Memoiren des Fotoreporters Robert Lebeck. „Fotografieren heißt eben mitunter, die Regeln zu verletzen. Und wer zuviel nach den Regeln fragt, wird es als Fotoreporter nie weit bringen.“

Der Gipfel des vermeintlich Authentischen war seinerzeit der schwarze Rand des Negativs um den Print. Da waren ernsthafte Fotografen unsagbar stolz, keine Ausschnittvergrößerung gemacht zu haben! Sie hatten das so vergrößert wie belichtet. Das wirkt heute noch viel kurioser als es damals schon war. Zumal es immer Fotografen gab, die den Rand in einen Ausschnitt vom Negativ einkopierten.

Der Look des Zufälligen und die sich mit dem Negativrand verbindende Idee, man könne oder müsse gar alles so lassen, wie es die Kamera aufgezeichnet habe, beförderte den anscheinend unausrottbaren Glauben ans Authentische und daran, es reiche, um als Fotograf zu reüssieren.

Heute ist gefordert, Verantwortung zu übernehmen statt unbemerkt ein Foto zu machen. Wenn man Menschen fotografiert, sollten diese die Chance haben, sich der Kamera gegenüber zu verhalten – oder zu verweigern. Als Fotograf ist man angehalten, den Verwendungszweck seiner Arbeit mitzuteilen, sich eine Veröffentlichungserlaubnis schriftlich geben zu lassen.

Autorenfotografie statt Fotojournalismus

Im Unterschied zur reinen News-Fotografie gibt es in der dokumentarischen Fotografie eine lange Tradition der verantwortlichen persönlichen Hinwendung zum Bildgegenstand. Vor bald 20 Jahren erreichte dieses Umdenken auch den Fotojournalismus. Die Zeitung Le Monde diplomatique veröffentlichte im März 2005 das „Plädoyer für einen neuen Fotojournalismus“ von Christian Caujolle, Gründer und Direktor der Fotoagentur VU und eine Größe in der französischen Fotografieszene. „In den vergangenen hundert Jahren“, stellte er fest, „galten nur Berichte professioneller Journalisten als glaubwürdige Dokumente. Heutzutage kann offensichtlich jedes Dokument, unabhängig von wem es stammt, ein Ereignis glaubhaft belegen. Das ist etwas Neues.“ Caujolle setzt gegen das schnelle Bild „Fotoreporter, die sich auf Langzeituntersuchungen einlassen und Aspekte unserer Gesellschaft enthüllen.“ Auch für ihn sind nur Dokumente eindringlich, die sich „von den Stereotypen entfernen“.

Caujolle fordert, „dass es auch in Zukunft Fotografinnen und Fotografen geben muss, die das Risiko eingehen, eigene, von Fernsehen und Internet abweichende, entgegengesetzte oder ergänzende Standpunkte zu entwickeln und zu vertreten.“

An die Stelle von Magazinaufträgen sind heute Preise und Förderungen getreten, die es Fotografinnen und Fotografen erlauben, sich eingehend mit einer Thematik zu befassen und diese dann als Ausstellung und /oder Buch der interessierten Öffentlichkeit zu präsentieren. Die Deutsche Gesellschaft für Photographie unterstützt dies durch einen Förderpreis ‒ die Vergabe des Otto-Steinert-Preises. Hier wird es vor der nächsten Ausschreibung sicherlich Diskussionen geben, ob oder inwieweit KI-generiertes Bildmaterial akzeptiert wird.  

Denn klar ist ja auch: Die generative Bilderzeugung mittels leicht verfügbarer, sich ständig verbessernder Instrumente ist eine logische Weiterentwicklung der Digitalisierung. Sie vergrößert die künstlerischen Möglichkeiten all jener, die sich auch jetzt schon von der traditionellen, zweidimensionalen Abbildung einer Realität vor einer Linse ganz oder partiell entfernt haben. Eher früher als später wird sich eine an analogen Kriterien ausgerichtete Beurteilung von Arbeiten, die sich der fotografischen Darstellung bedienen, sehr rückwärtsgewandt anfühlen.   

Verantwortlicher Umgang

Die leichte Erzeugung von Bildmaterial mittels KI antwortet im Grunde auf den massenhaften Bedarf an kostenlosem – illustrativem – Steh- und Laufbild. Man wird diese KI-generierte Bebilderung – zu Ungunsten von Berufsständen wie Fotografen, Videografen und Illustratoren – nicht aufhalten können.

Die individuelle fotografische Realitätserfassung im Rahmen eines dokumentarischen, kamera­basierten Projektes könnte jedoch erheblich an Wertschätzung gewinnen.

Fotografinnen und Fotografen wie auch Bildverwerter sind mehr denn je gefragt, klar zu kenn­zeichnen, welche Art visueller Behauptung sie verbreiten. Hilfreich sind sicherlich Initiativen wie die Content Authenticity Initiative (CAI), der die Berufsverbände im Deutschen Fotorat beigetreten sind. Ziel der CAI ist die Förderung eines Industriestandards, der sichere Aussagen über die Herkunft digitaler Inhalte erlauben soll.

Um immer wieder aktuell zu informieren und zu diskutieren, wird die Deutsche Gesellschaft für Photographie e.V. diese dramatischen Veränderungen der Rezeption und Anwendung von Fotografie in Form von Fachvorträgen reflektieren. Die in der DGPh zusammengeschlossenen Expertinnen und Experten decken das gesamte Spektrum der Fotografie als Bildmedium ab, plus deren Relevanz in Bildung, Wissenschaft und Recht. Die DGPh initiiert fachliche Diskussionen zu medienspezifischen Aspekten von bildgenerierenden KI-Anwendungen. Die ersten Veranstaltungen sind terminiert:           

  • Dienstag, 11. April 2023, 19:00 Uhr (Online Meeting der Sektion Kunst, Markt und Recht)
    KI-Bildgeneratoren: Bedrohung oder Chance?
    Ein rechtliches Webinar mit Sebastian Deubelli (Mitglied des Vorstands der Sektion)
    Hier zum Webinar anmelden: KI-Bildgeneratoren: Bedrohung oder Chance?
     
  • Montag, 24. April 2023, 19:00 Uhr (Online Meeting der Sektion Bildung)
    KI-generierte Bilder im Kontext von Bildung. Die DGPh im Gespräch mit Expert*innen
    Hier zum Meetinganmelden: KI-generierte Bilder im Kontext von Bildung
     
  • Dienstag, 2. Mai 2023, 19:00 Uhr (Online Meeting)
    Den Wert der eigenen Arbeit stärken in Zeiten von KI-Bildgeneratoren
    Ein Webinar mit Dr. Martina Mettner
    Hier zum Webinar anmelden: Den Wert der eigenen Arbeit stärken ...

Die Online-Veranstaltungen sind öffentlich und werden in einer ggf. gekürzten Version in der Mediathek der DGPh zur Verfügung stehen.  Den Link zu den Veranstaltungen erhalten Sie nach Anmeldung jeweils einige Tage vorab.

 

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