Willy Ronis und die DDR der 1960er Jahre
Die Menschen, die Straßen, die Feiertage oder der Alltag - ob Willy Ronis (1910 - 2009) nun das alte Paris photographiert oder die neuen Städte der DDR, immer konzentriert sich sein Blick auf diese Motive. Als er 1967 vom Verein «Échanges franco-allemands» den Auftrag für eine Bildreportage erhielt, welche die Anerkennung der DDR durch Frankreich fördern sollte, richtete er seine Kamera „zuerst auf das Leben“. Als Humanist, engagiert und mit „dem Herzen links“, dokumentierte er einen modernen Sozialismus im Dienst des Volkes - wobei er die Probleme des Systems lieber überging.
Ronis war bereits 1960 in der DDR gewesen und wusste daher genau, worauf er zu achten hatte. Seinen Auftrag erfüllte er in Form von Photographien junger Arbeiter, Studenten, spielender Kinder, Landschaften und Alltagsszenen. „Ich lege größten Wert darauf, in meinen Photographien den Charakter des Menschen zur Geltung zu bringen, indem ich Gesten, Haltung auswähle, um so ein Bild mit Leben zu füllen.“ Mit diesem Zitat des Photographen beginnt auch der einführende Text von Nathalie Neumann und Ronan Guinée, den Kuratoren der gleichnamigen Ausstellung, die den Titel “Die DDR. Wie Willy Ronis sie sah: Ein Land wie das Unsere“ trägt. Die Photohistorikerin Gabrielle de la Selle schildert unter dem Titel „Ein engagiertes Photographenleben“ das „Erwachen“ des Photographen Willy Ronis, sein Kampf um Anerkennung, seine Zweifel und seinen Erfolg. Nathalie Neumann geht in ihren beiden Textbeiträgen darauf ein, wie der kommunistische Willy Ronis, Sohn osteuropäischer und jüdischer Einwanderer, der schon vorher in der DDR gearbeitet hatte, 1967 idealistisch und voller Neugier den Auftrag übernahm, die DDR in all ihren gesellschaftlichen Aspekten zu fotografieren.
Nach seiner Rückkehr wurde seine Arbeit in 80 Kommunen Frankreichs ausgestellt und entfaltete so zunächst ihre gewünschte politische und propagandistische Wirkung, wobei der künstlerische Aspekt im Hintergrund blieb. Die für Willy Ronis „Schwierigen Jahre 1960- 1972“ beschreibt Ronan Guinée und endet mit der Feststellung, dass der DDR-Auftrag letztlich seiner beruflichen Laufbahn neuen Schwung, Selbstsicherheit und damit Kunden brachte. Den bebilderten Texten folgt der umfangreiche Bildteil, der in die Abschnitte Europa vs. DDR, Politik, Städte und Landschaften, Arbeit und Freizeit sowie Kunst und Kultur unterteilt ist.
Ronis schuf mit seiner Reportage und der Ausstellung ein historisches Dokument zur Alltagsgeschichte der DDR-Gesellschaft, das 55 Jahre nach seiner Entstehung und 30 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung vom Wasmuth & Zohlen Verlag, Berlin, in dem Buch „Willy Ronis in der DDR – zuerst das Leben! 1960-67“ nun erstmals gewürdigt wird. Aus dem Kontext des Kalten Krieges gelöst, entfalten seine Bilder heute ihre ganze stilistische und ästhetische Wirkung. (vZ)
Willy Ronis in der DDR
Beträge: Gabrielle de la Selle, Nathalie Neumann, Ronan Guinée
Texte: Deutsch, Französisch
224 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen
Format: 21 x 25 cm, Hardcover
Berlin, Wasmuth & Zohlen Verlag
ISBN: 978-3-8030-3413-7
39,00