Joan Fontcuberta auf den Spuren von Alfred Ehrhardt
Der 1955 in Barcelona geborene, international renommierte katalanische Photograph, Kurator, Essayist und Dozent Joan Fontcuberta ist bekannt für sein Spiel mit den Grenzen zwischen Realität und Fiktion. Er setzt sich bei seiner künstlerischen Arbeit durchaus kritisch, aber stets humorvoll provokativ mit dem Abbild in wissenschaftlichen Disziplinen und hier insbesondere mit Botanik oder Zoologie auseinander. Dabei wurde er auch auf das Archiv der Alfred-Ehrhardt-Stiftung in Berlin aufmerksam gemacht. Ihn faszinierten vor allem Photographien, die der deutsche Photograph und Filmemacher Alfred Ehrhardt (1901 – 1984) von Korallen erstellt hatte.
Im Jahr 1938 war geplant, dass Ehrhardt zusammen mit dem damaligen Leiter der Korallensammlung des Naturhistorischen Museums Hamburg auf den Spuren von Charles Darwin (1809 – 1882) eine Expedition zu den Galapagos- und den Cocos (Keeling) Inseln unternehmen sollte, was aber der Ausbruch des 2. Weltkriegs verhinderte.
Diese damals ausgefallene Reise von Alfred Ehrhardt, die letztlich dem Andenken an den weltbekannten britischen Evolutionsforscher Darwin galt, vollzog Joan Fontcuberta jetzt gewissermaßen virtuell nach. Die in dem im Kominek-Verlag, Berlin, erschienenen Katalogbuch „What Darwin Missed“ enthaltenen, von dem spanischen Photographen gestalteten Bilder belegen, dass hinter der exquisiten Eleganz der Formen der Natur, gesehen durch den Filter sowohl der Photographie der Neuen Sachlichkeit als auch der heutigen Wissenschaftsphotographie, eine große Herausforderung für Darwins Evolutionstheorie steckt, nach der sich Veränderungen allmählich über viele Generationen und durch zufällige Mutationen und natürliche Selektion entwickeln. Zudem stellt sich die Frage, was wohl geschehen wäre, wenn Darwin mehr Zeit bei diesen Korallenriffen hätte zubringen können und dabei auf Spezies mit disruptiver Evolution gestoßen wäre.
Fontcubertas aktuelle künstlerische Umsetzungen fordern jedoch zu genauem Hinsehen auf - der spanische Künstler ist eben ein Bilderstürmer, der seine Bilder oftmals mit scharfem Witz, manchmal gar beißendem Humor gestaltet. Dabei hat seine fiktive Forschungsreise für ihn auch ein erzählerisches Moment erbracht, deren Ergebnis auf dem Verhältnis sowohl von Fakten und Wissenschaft basiert, aber auch von Kunst und Spekulation geprägt ist und nicht immer ungeprüft als wahr hingenommen werden sollte. Denn die in dem kleinen, aber feinen Katalogbuch präsentierten wunderbaren Bilder sind teilweise mit Fontcubertas, aber auch mit Hilfe künstlicher Intelligenz (KI) entstanden und zeigen sowohl bunte Korallenwälder als auch schwarzweiße, schön geformte Einzelstücke. So hat er beispielsweise in „eine Hybridform zwischen Weichkorallen und Steinskelettkorallen“ einen weiblichen Akt versteckt.
Seine wunderbaren Bilder werden ergänzt durch einen Aufsatz, in dem Fontcuberta unter dem Titel „What Darwin Missed“ kundtut, dass es ihm angebracht erschien, die Photographien von Alfred Ehrhardt, die dieser vor über 80 Jahren erstellt hat, mit seinen letztlich am Computer gestalteten Bildern zu ergänzen. Zudem widmet sich Christiane Stahl, die Leiterin der Alfred-Ehrhardt-Stiftung, Berlin, dem Thema „Joan Fontcuberta auf den Spuren von Alfred Ehrhardt“ und liefert Rosa Russo einen „Bericht zur Untersuchung der Serie Korallen von Alfred Ehrhardt“. (vZ)
Joan Fontcuberta
What Darwin Missed
112 Seiten mit 60 Abbildungen
Format: 17x25 cm, Hardcover
Berlin, Kominek-Verlag
ISBN: 978-3-9824542-7-6; € 28,--
Ausstellung in der Alfred-Ehrhardt-Stiftung, Berlin, noch bis 22. Dezember 2024