Das Buch „Voyages de mémoire“ (Erinnerungsreisen) des Fotografen Patrick Zachmann (* 1955) hat eine sehr interessante Konzeption. Es verbindet das jüdische Gedenken an die Shoa mit einem weltweiten Erinnern an Vertreibung und Genozid. So setzt er sich ab den 1970er-Jahren mit dem jüdischen Leben in Frankreich und dessen Facetten von streng orthodox bis säkular auseinander. In der Erkenntnis, dass die Zeitzeugen weniger werden, portraitiert er diese 1981 auf der ersten Zusammenkunft von Shoah-Überlebenden aus aller Welt (in Jerusalem). Seine Fotografien sind von einem humanistischen Blick geprägt und die Aspekte der Verfolgung von Menschen jüdischen Glaubens im 20. Jh. setzt er in Bezug zu Exil, Verschwinden und Vergessen weltweit.
Das Buch vollzieht die Phasen der Auseinandersetzung Zachmans mit der jüdischen Religion und Kultur nach, indem es in Werkserien strukturiert ist: „ jüdische Identität“ (orthodox bis säkular u.a. Textilgroßhändler im Pariser Sentier-Viertel oder der letzte Schriftsetzer der kommunistischen Tageszeitung „Naye Prese“ in jiddischer Sprache), die Überlebenden der Shoa (besonders beeindruckende Portraits) und das Wiederaufleben des Antisemitischen im Alltagsleben (in Südafrika). Außerdem das eigene Familienleben, Erinnerung an die Vorfahren (Großeltern väterlicherseits, Auschwitz 2000), Chile und die Folgen der Pinochet Diktatur (1999 ehemalige Lager für politische Gefangene in der Atacama Wüste), überlebende Tutsi des Genozids in Ruanda sowie Spuren in Ungarn 2004. Hassidim Rituale und die fröhlichen chassidischen Wallfahrten dokumentierte er in Polen und der Ukraine 2014/2015. „Meine Mutter“, eine anschauliche Reise zu den familiären Wurzeln seiner Mutter in Algerien und Ostmarokko, die besonders auch emotional den Betrachter anspricht.
Der Kulturstiftung der Versicherungskammer Bayern (München) gebührt Anerkennung, dass sie diese wichtigen Werkgruppen des Fotografen Patrick Zachmann mit einer Ausstellung im Kunstfoyer ehrt und so dieses bedeutende Buch auch in Deutschland bekannt macht. Das Buch ist als zeitgeschichtliches Zeugnis über die Fotografien hinaus und durch die weltweiten Aspekte des Themas Verfolgung, Exil und Erinnern bemerkenswert. Ohne dieses Engagement der Zeitzeugen und des Fotografen hätten wir keine Möglichkeit uns mit den Orten und Ereignissen der jüngeren europäischen Geschichte auseinanderzusetzen. Eine gelungene Publikation, die schön gestaltet mit einer sachlich funktionalen Buchgestaltung, der gezeigten Werkgruppe künstlerisch gerecht wird. db)
Ausstellung bis 20. August 2023 im Kunstfoyer (München)
Voyages de mémoire
Patrick Zachmann
Hrsg.: Jordan Alves
Texte von Paul Salmona Dominique Schnapper
Französisch
Buchgestaltung Festeinband
224 Seiten, ca. 250 Abbildungen in Schwarz-Weiß und Farbe
Editions Xavier Barral, Paris
ISBN 978-2-36511-307-6
39,00 €