Entgegen dem vorherrschenden Bild des Westens über den Osten Deutschlands – dominiert von SED und FDJ, Mauer und Stacheldraht, Aufmärschen und Militärparaden – liefert der ostdeutsche Photograph Harald Hauswald in dem im Steidl Verlag, Göttingen, erschienenen Katalogband „Voll das Leben“ mit seinen durchgehend schwarzweißen Aufnahmen eindringliche und einmalige Momentaufnahmen sowie Zeugnisse des sozialistischen Alltags.
Laute und schrille Punks, Hippies und küssende Pärchen in einem Meer voller Trabbis, kämpferische Fahnen und Demonstrant*innen vor dem Palast der Republik, Schattengeschöpfe und Betrunkene in ihrer Stammkneipe und auf Volksfesten oder geduldig Wartende an Haltestellen – der Blick von Harald Hauswald ist unverfälscht und einfühlsam. Seine in dem Bildband auf über 300 Seiten wiedergegebenen, ganz- oder doppelseitig gedruckten Photographien beweisen seine volle Sympathie für das Objekt, vor allem aber die Menschen vor seiner Kamera. Es sind Bilder von der Eintönigkeit, aber auch von der Langsamkeit des Lebens in der DDR, die zugleich eine isolierte und eingeschlossene Welt kurz vor ihrem Untergang dokumentieren. Die eindringlichen Momentaufnahmen geben zudem Einblick in den sozialistischen Alltag und zeigen insbesondere die Entwicklung des Ostberliner Stadtraums und das Wirken oppositioneller Gruppen, von Künstler*innen sowie von verschiedenen Jugendkulturen.
Das Buch beginnt mit einer Einführung des Herausgebers Felix Hoffmann, der unter dem Titel „Der beobachtete Beobachter“, Untertitel „Harald Hauswald, die Stasi und die Rollen der Photographie“ das Leben und den Werdegang des 1954 in Radebeul geborenen Photographen ausführlich in Wort und Bild schildert. Am Beispiel des von Lutz Rathenow und Harald Hauswald 1987 gemeinsam herausgegebenen Buchs „Ostberlin – die andere Seite einer Stadt in Texten und Bildern“ und den dazu von der Stasi als dessen permanente Bewacher minutiös zusammengetragenen kritischen Kommentaren über Harald Hauswald und zu einzelnen Bildern ist der Druck zu spüren, dem besonders Künstler in der DDR ständig ausgesetzt waren.
Leander Haußmann beschreibt Harald Hauswald in seinem Essay unter dem Titel „Einer von uns“ als „den besten Photographen, den ich kenne: Blonder Zopf, weißer Bart, offene blaue Augen, immer eine Zigarette zwischen den Lippen, Levi’s und der Parka.“ An einigen herausragenden Aufnahmen, wie das als Titel des Bandes ausgewählte Photo ‚Fahnenflucht‘ oder das berühmte ‚U-Bahnlinie A‘, beweist er, dass Hauswald mit seiner Kamera Geschichten erzählt - immer dicht am Menschen. Als erster ostdeutscher Photograph veröffentlichte der spätere Mitgründer der Agentur Ostkreuz unter einem Pseudonym Photoreportagen in westdeutschen Magazinen, wie Geo, Stern, Spiegel, dem Zeit-Magazin oder der taz.
Mit seinem einzigartigen Werk gehört Harald Hauswald nicht nur zu den bekanntesten und angesehensten deutschen Photographen: Er selbst schuf Geschichte. (vZ)
Ausstellung bei C/O Berlin noch bis 23. Januar 2021
Harald Hauswald
Voll das Leben
Hrsg. Felix Hoffmann
Texte: Deutsch / Englisch
408 Seiten
Format: 24x30 cm, Hardcover
Göttingen, Steidl Verlag
ISBN: 978-3-95829-720-3
45,00 €