Valentin Schwab. Eine Retrospektive

Valentin Schwab. Eine Retrospektive

Der Fotograf und Kameramann Valentin Schwab (1948-2012) ist eine wirkliche Neuentdeckung im Frühjahr 2023. Seine Fotografien sind von großer Empathie und Humanität geprägt und umfassen Menschen, Alltagsleben und Orte im kulturellen Wandel. In seiner Studienzeit (Kunsthochschule Kassel, damals „Gesamthochschule“) bereiste er die damaligen Krisengebiete „El Salvador, Kuba und Eritrea“ um den Alltag und den Widerstandswillen der Bevölkerung - als Fotograf und Kameramann mit dem Regisseur Manfred Vosz - in preisgekrönten Filmen wie „Die nackten Füße Nicaraguas“ und „Mütter, Dollars und ein Krieg“ zu dokumentieren. Es entstanden Fotoserien und Filmsequenzen von beeindruckender Authentizität, für die er die Menschen über Monate hinweg mit der Kamera begleitete und die seine engagierte Haltung und die qualitätsvolle Bildgestaltung von Beginn an zeigen.
Noch bedeutender ist aus heutiger Sicht sein Hauptwerk „Land“, die Dokumentation seiner fränkischen Heimat, die sich in den 1970er und 1980er durch Strukturwandel und Flurbereinigung stark veränderte. Diese Werkserie wird im Buch mit Motiven in dokumentarischer („verlassene Orte“, S. 100, 103, 106, 107, 114, „neue Ortskerne“, S. 123, 126, 127, 129) bis archaischer Art („Hände“ S. 60, 62) gezeigt. Letztere lösen intuitiv die Assoziation von Chargesheimers „Bütterken“ aus. In diesen Fotografien findet er eine sachliche und zugleich empathische Bildsprache, die in faszinierenden Motiven die Menschen in Bezug zu ihrem Land setzt und zeigt, wie die Veränderungen von Land und in der Architektur auf die Menschen zurückwirken. Motivthemen sind die Region - die Dokumentation ihrer Veränderungen, Vergehendes zu bewahren und gegenwärtige Entwicklungen zu hinterfragen.

Es ist seine Nähe zu den Menschen, die er täglich begleitete und so das Leben der Landbevölkerung authentisch und auf Augenhöhe getragen von Sympathie und Respekt festhält. Ein „ländliches Leben“ das manche genauso aus ihrer Kindheit in Erinnerung haben, das aber zunehmend von einer anonymisierten, standardisierten Billigbauweise und gesellschaftlicher Entfremdung geprägt ist. Seine Beobachtungen dokumentieren einen Ist-Zustand (~1970er Jahre), um das Vergehende zu bewahren und Veränderungen gegenwärtige Entwicklungen in Frage zu stellen. Es ist nicht nur eine besondere Dokumentation des ländlichen Lebens in Unterfranken, sondern betrifft exemplarisch die gesellschaftlichen Umbrüche im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts - eine Entwicklung in ganz Deutschland und Westeuropa. Seine Fotografien zeigen gleichermaßen eine kosmopolitische und regionale Wahrnehmung und sind damit eigenständig in den fotografischen Diskursen der letzten 50 Jahre.

Mit diesem Buch werden die fotografischen Werkgruppen von Valentin Schwab (1948–2012) auch überregional bekannt gemacht. Er ist mit seiner engagierten Haltung und seiner qualitätsvollen Bildgestaltung sicher ein bedeutender Vertreter der deutschen Dokumentarfotografie im 20. Jahrhundert. Seine konzeptuellen Arbeiten beziehen auch das Negativmaterial im Archiv mit ein, das alphabetisch (Orte) sortiert ist und ergänzt wird durch historische Fotografien, die Schwab bei seinen fotografischen Exkursionen bei den Bewohnern vor Ort sammelte. Dieses einzigartige Archiv des ländlichen Lebens in Unterfranken hat eine überregionale Bedeutung und wird zum Nachdenken über die Dokumentarfotografie und ihre künstlerischen Möglichkeiten anregen.

Die in den Fotografien zum Ausdruck kommende gesellschaftliche Rolle der Kunst und ihre Kraft zur Veränderung, werden sicher manchen aktuellen Diskurs zeitgenössischer Fotografen*innen anregen. Mit der Fotografie der „Hände“ S. 60, 62, „Strukturen“ S. 79-82, „verlassene Orte“ S. 100, 103, 106, 107, 114 wird deutlich, dass Kunst neue Perspektiven schafft und ein historischer und kultureller Dialog eindrucksvoll mit dem Werk von Valentin Schwab umgesetzt wird. (db)

Ausstellung bis 21. Mai 2023 im Museum im Kulturspeicher (Würzburg)

Valentin Schwab. Eine Retrospektive
Hrsg.: Luisa Heese und Henrike Holsing Museum in Kulturspeicher,
Texte von Klaus Eder, Luisa Heese, Henrike Holsing
Deutsch
Buchgestaltung klebegebundene Broschur
144 Seiten, circa 150 Schwarzweiß-Fotografien
Ph. C. W. Schmidt Verlag, Neustadt an der Aisch
ISBN 978-3-87707-280-6
28,00 €