Revier. Matthias Jung

Der Fotograf Matthias Jung geht das Thema „Braunkohletagebau“ aus einer anderen Perspektive an. Werden sonst immer die verschwindenden Dörfer und Landschaften, die gigantischen Maschinen dokumentiert, konzentriert er sich auf die Objekte, die dem Tagebau weichen müssen, das sind Ortssituationen und natürlich die Menschen und Tiere.

Die Fotografien lassen nur unzulänglich das gigantische Loch (400 Meter tief) erahnen, Europas größter Braunkohletagebau - das Köln-Aachener Revier, das sogar eine Sensation für US-Amerikaner ist. Der Abbau der Braunkohle bedeutet, dass die kulturelle Identität einer Region ausgelöscht wird, gut im Straßenbild der neuen Orte zu erkennen. Für die Energiegewinnung müssen sich 200.000 Menschen eine neue Heimat suchen. Es sind widersprüchliche Gefühle, die das alte Vertraute vermissen und das neue Moderne begrüßen. Viele spüren eine Unsicherheit bei der große Naturveränderung, denn es entstehen nicht nur Löcher und Seen, sondern es werden auch die fruchtbarsten Böden dieser Region auf immer nachhaltig verändert.
Der Fotograf Matthias Jung hat sich in seiner Werkserie besonders mit den Menschen und ihrer Ortsveränderung auseinandergesetzt. Das sind die betroffenen Bewohner, u.a. die Rheinische Kartoffelkönigin, das Maipaar, der Bürgerbeirat und der Schützenverein aber auch Umweltaktivisten und Waldbesetzer. Die Portraits ergänzt er mit Objekten, die auch umziehen und archäologische Fundstücke, die alle auf eine vergangene Zeit hinweisen. Die subtilen Motive eines schleichenden Sterbens sind blinde Fenster in geziegelten Wänden, Reifenspuren, die ins Dunkel führen, verwahrloste Obstbäume und Gebäude mit klaffenden Löchern.

Auch hier gibt es zwei Perspektiven: die Betroffenen, die durchaus neue Häuser und neue Orte zu schätzen wissen und die Fremden, die sich für ein Ideal einsetzten, das sie nicht genauer kennen, aber hier verwirklichen wollen. Übrigens der „Hambacher Forst“ hat nur bis heute überlebt, weil es den Braunkohletagebau gibt, er war Mitte der 19. Jhd. schon für die industrielle Verfeuerung freigegeben, aber dann war die Braunkohle plötzlich billiger! Dieser Unterschied ist auch in den Fotografien von Matthias Jung zu erkennen, die Einheimischen in lokaler ländlicher Kleidung setzen sich deutlich von den zugereisten Protestierenden in Parka, Pudelmütze und Camouflage ab. Polizisten und Vertreter der Energieindustrie werden nur als Gruppe aus der Ferne – quasi anonym – dargestellt. Die neue umgesiedelte Alltagswelt kommt in seiner Serie nicht vor.

Ein interessantes Buch als Dokument der Entwicklung der sozialen und landschaftlichen Einschätzung gravierender regionaler Veränderungen. Für zeitgeschichtlich interessierte Leser und Fotografen ein gleichermaßen informatives Buch, das schön gestaltetet ist mit einer sachlich funktionalen Buchgestaltung. Eine gelungene Publikation, die den gezeigten Werkgruppen künstlerisch gerecht wird und zum Nachdenken über die Fotografie und ihre gesellschaftlichen Möglichkeiten anregt. (db)

Revier
 Matthias Jung (DGPh)

Hrsg.: Matthias Jung
Texte von Ingrid Bachér und Matthias Jung
Deutsch,
Buchgestaltung Festeinband illustrierte Bildunterschriften
148 Seiten, 129 Abbildungen in Schwarz-Weiß und Farbe
Kettler Verlag, Dortmund
ISBN 978-3-86206-969-9
42,00 €