Das Buch No Ponte stellt ein klassisches konzeptuelles Fotografieprojekt vor, das von Giuseppe Micciché (*1971) konzipiert und fotografiert wurde. Die Meerenge zwischen Sizilien und dem italienischen Festland hat seit der Antike geografisch und geopolitisch eine große Bedeutung und Urlaubern ist bei der Überfahrt mit der Fähre die goldglänzende Madonna, die Schutzpatronin von Messina als erster Inseleindruck in Erinnerung. Diese Meerenge mit einer Brücke zu überspannen, wurde von Benito Mussolini ins Gespräch gebracht, von Berlusconi wieder aufgegriffen, wird der Brückenbau von den Bewohnern der Region seit Generationen obsessiv verfolgt.
Seit 2005 porträtiert Giuseppe Micciché in seinem Langzeitprojekt eine Region im Stillstand, im Zustand des gleichgültigen, frustrierten oder auch hoffnungsvollen Wartens. In seinen sachlichen streng komponierten Fotografien dokumentiert Micciché die (sub-) urbanen Küstenabschnitte beiderseits der Meerenge, Aspekte einer zögerlichen Aufwertung der Region mit Menschen in ihrem Alltag, und vergessene Orte, die auf den Brückenbau warten. Es sind Motive wie das Tirrenische Meer vom Schiff aus gesehen, der „Torre Faro“ (No. 1), „Zona Falcata“ (No. 4), „Zona Falcata“ (No. 5), „Capo Peloro“ (No. 6), „Ganzirri“ (No. 8), „Fiera di Messina“ (No. 9), „Fonana del Nettuno, Messina“ (No. 11), „Porto di Messina“ (No. 22), „ (No. 28), „Messina“ (No. 31), „Rione Case Basse“ (No. 56), „Stazione Messina Maritima“ (No. 68). Diese Motive zeigen Aspekte des Stillstandes mit halbfertigen Molen, verlassenen Häusern, Betonblöcken im Sandstrand, Straßenhändlern, der Fassadenmalerei des Brückenpanoramas, streunenden Katzen oder den Fischern an ihren Booten, deren Verdienst aus der Schwertfischjagd schon lange nicht mehr zum Leben reicht. Durch alle Motive dieses fotografischen Essays zieht sich die nicht existente Brücke als Zeichen, das auch sie unsere Wahrnehmung stark beeinflusst, obwohl sie in den Motiven nicht sichtbar ist.
Die scheinbar lapidaren „Schnappschüsse“ des Schweizer Fotografen Giuseppe Micciché mit sizilianischen Wurzeln sind höchst präzise komponierten Bilder und das Ergebnis langer genauer Beobachtungen bei den verschiedenen Ortsbesichtigungen. Sie regen zum Nachdenken über die jüngere Regionalgeschichte Siziliens und Kalabriens und ihre dokumentarische Wiedergabe an. Aktive Fotograf *innen sind aufgefordert zum Diskurs über die Möglichkeiten und stilistischen Varianten konzeptueller Fotografie.
No ponte, ein besonders schön gestalteter Leinenband mit ausgewählter Typografie und glanzlackierten Farbabbildungen, wird der künstlerischen Werkgruppe gerecht. Es ist erfreulich, dass der Verlag „Edition Patrick Frey, die Werkgruppe des Fotografen mit dieser interessanten Position zum „Italienbild“ in einer Werkmonografie (Buch) editiert, und so auch im deutschsprachigen Raum bekannt macht. (db)
NO PONTE
Giuseppe Micciché
Texte: Giuseppe Micciché, Nadia Schneider-Willen
Italienisch, Englisch
Buchgestaltung Leineneinband,
156 Seiten, 70 Abbildungen in Farbe
Edition Patrick Frey, Zürich
ISBN 978-3-907236-43-7
78,00 €