Buchcover natura

Dieses Buch ist die Monografie eines künstlerisch photographischen Projektes, das in der Buchgestaltung des Photographen seine optimale Vollendung erfährt. Bernard Descamps (*1947) hat die Werkgruppe „natura“ (1995-2019) in Frankreich, Island, Japan, Madagaskar und Venezuela photographiert.

In Bezug auf die stilistische Form der „new topographics“ (USA) stellt Maria Spiegel (Kuratorin) die Frage ist „natura“ „old topographics“ und wie ist die Relation? In unserer gegenwärtigen Umwelt haben wir es fast ausschließlich mit einer Kulturlandschaft zu tun, die Naturlandschaft ist von Menschenhand verändert. Die „new topographics“ haben zuerst in der Photographie die starken Veränderungen der Natur durch die Landnahme thematisiert Bernard Descamps hat nun die Landschaft durch eine künstlerische Konzeption, die Reduktion der Landschaft in seinen Photographien auf ihre wesentlichen Elemente reduziert und sich daraus vier Themen „Meer, Berge, Wald, Vogelflug“ ausgewählt, die er in jeweils einer Serie im Buch vorstellt. Es ist keine klassische Landschaftsphotographie wie bei Anselm Adams, der uns die Majestät der Natur und die Kraft der Witterung in eindrucksvollen Lichtstimmungen und fein nuancierten Schwarz-Weiss Abstufungen näherbringt. Das „Meer“ ist auf einen strengen Bildaufbau (Horizontlinie in Bildmitte) und helle Grautöne reduziert so dass was Meer ausmacht zum Tragen kommt der Horizont in der Bildmitte.

Die Berge sind auf zweidimensionale Flächen und Strukturen reduziert, das geht soweit, dass die Gletscher Islands nicht mehr als Eis zu erkennen sind, sondern es könnte sich auch um Sandstrukturen halten. Dieser reduzierte Realitätsbezug wird noch verstärkt durch das Fehlen von Bildunterschriften und die Motivliste am Ende des Buches besteht nur aus Ländernahmen und Jahreszahlen wie „Islande, 2011 France, Bretagne, 2016 Belgique, Forêt de Soignes, 2015 France, Les Alpes, 2019.“
Mich haben ganz besonders die Waldaufnahmen im Kapitel III beeindruckt, ganz auf die Baumstämme und ihre Strukturen reduziert, sind doch auch die Baumarten zu erkennen. In ihrer ästhetischen Konsequenz erinnern sie stark an die Werkserie „Bäume“ von Albert Renger-Patzsch, der aber im Geiste der „Neuen Sachlichkeit“ stärker den einzelnen Baum und das Allgemeingültige seiner jeweiligen Spezies betont.

Bei dieser starken Konzentration auf das Wesentliche in den Photographien (Formalisierung), vermisst man die Farbe nicht, sondern im Gegenteil SW hat die größere Aussagekraft für die künstlerische Intention. Durch Betonung dieser formalästhetischen Aspekte geht es nicht um eine bestimmte Landschaft, sondern deren elementare Formen und Oberflächenstrukturen wie Horizont-, Kammlinie Baumstämme und Flugformationen der Vögel. Besonders deutlich wird diese Intension bei der Serie IV „Vögel“ bei der nicht die Arten oder der Himmel, sondern nur noch Strukturen (Flugformationen der Vögel) auf hellgrauen Flächen zu sehen sind! In einer durch und durch industrialisierten Welt zeigt sich eine Landschaft ohne Zivilisation als eine Form künstlerischer Imagination.

Ortlose Stille. Landschaftsphotographien von Bernard Descamps und Andreas Walther ist eine Projektkonzeption der Stiftung Situation Kunst (Bochum), die die Ausstellung im Museum unter Tage kuratiert hat. Der fundierte und detailreiche Text von Maria Spiegel vollzieht den vielschichtigen Prozess der Wahrnehmung von Natur und Landschaft in den Photographien von Bernard Descamps (1947 in Paris) nach. Darin wird deutlich, dass seit der Antike eine ursprüngliche Naturvorstellung (Arkadien) über Jean-Jacques Rousseau, die Romantik bis heute ein Produkt der menschlichen Vorstellung ist, die in einer bis in die Landwirtschaft industrialisierten Welt der künstlerischen Interpretation bedarf.

Ein sehr empfehlenswertes Buch als Dokument der Landschaftsdarstellung aber auch für die stilistischen Impulse in der Photographie. Die Buchgestaltung in ihrer klaren SW-Optik entspricht diesem wichtigen photographischen Archivbestand zur Landschaftsphotographie. Eine klare Typografie, und Themengliederung, der gute Druck der Duplexabbildungen und die Texte auf Naturpapier machen das Buch zu einer besonders gelungenen Publikation, die den gezeigten Werkgruppen künstlerisch gerecht wird und den Liebhaber des Photographie-Buches durch eine besondere künstlerische Note erfreut. Mit diesem Buch und der Ausstellung wird der vielbeschworene Anspruch, dass Kunst neue Perspektiven schafft und einen kulturellen Austausch ermöglicht, eindrucksvoll umgesetzt. (db)


natura
Photographien von Bernard Descamps

Herausgeber Stiftung Situation Kunst
Text von Maria Spiegel
Deutsch, Französisch
Buchgestaltung Bernard Descamps, Festeinband, Duplexabbildungen,
160 Seiten, 73 Abbildungen in Schwarz-Weiß
Filigranes Editions, Paris
Buchhandelspreis: 24,00 Euro, Museumspreis 20,00 Euro.
ISBN 978-3-941778-14-6


Ausstellung »Ortlose Stille. Landschaftsphotographien« bis 18. April 2021 im Museum unter Tage (Bochum)