JR: „Ich habe die größte Galerie der Welt – die Straße“
„JR: Chronicles“ ist die erste deutschsprachige Publikation über die Arbeit des 1983 als Sohn osteuropäischer und tunesischer Einwanderer geborenen französischen Künstlers. Weltweit berühmt wurde JR durch Photographien unbekannter Personen, die er in riesigen Formaten auf Häuserfronten, Eisenbahnzügen, Containerschiffen oder gar Grenzmauern auf der ganzen Welt plakatiert.
Im Fokus des im Hirmer Verlag, München, erschienenen Bildbands „JR: Chronicles“ stehen die öffentlichen Werke des Künstlers – von den späten 1990er-Jahren bis in die jüngste Gegenwart. Zunächst stellt Roger Diederen, der Direktor der Kunsthalle München, die Persönlichkeit vor, die sich hinter den Initialen JR verbirgt, die sein Äußeres stets hinter einer Sonnenbrille und einem Hut verbirgt: „Grundlage seiner Projekte sind oftmals Porträts von Menschen, deren Würde und Rechte im politischen Diskurs übergangen oder in den Medien einseitig dargestellt werden.“
Die ausführliche Einführung von Drew Sawyer und Sharon Matt Atkins vom Brooklyn Museum, New York, steht unter dem Titel „Das öffentliche Bild: JR’s partizipative Projekte“. Die Kuratoren stellen fest, dass JR in den vergangenen zwei Jahrzehnten zu einem der einflussreichsten Vermittler und Geschichtenerzähler im Bereich der visuellen Medien unserer Zeit avancierte. „In einer Verbindung aus Fotografie, Street Art und sozialem Engagement gestaltet er ortsspezifische Interventionen im öffentlichen Raum.“
Zur Photographie kam JR, der bereits mit 15 Jahren seine Karriere als Graffitikünstler begann, eher zufällig, als er in der Pariser Métro eine Kamera fand, damit seine Clique bei Sprayen aufnahm und danach die Arbeit von Street Artists in anderen Städten dokumentierte. 2004 begann JR sein erstes öffentliches Projekt, als er eine Serie von Porträtaufnahmen junger Menschen aus Les Bosquets, einer Hochhaussiedlung in einem Vorort von Paris, auf Gebäudekomplexen gestaltete. Aus dieser „Portrait of a Generation“ betitelten Serie stammt die berühmte Aufnahme „Le Braquage Lady Ly“, die eine Gruppe junger schwarzer Männer vor einem verbarrikadierten, mit Graffiti übersäten Gebäude zeigt. Seine Serie „28 Millimeters“ verweist auf die hohe Tiefenschärfe des Weitwinkelobjektivs an seiner Kamera, mit dem er mehr Details einfangen konnte und das er auch 2008 und 2010 für seine Arbeit „Women Are Heroes“ einsetzte. 2017 bis 2019 folgten „The Chronicles“ von Clichy-Montfermeil, von America, San Francisco und New York City, die das Ende der in insgesamt 11 Kapitel des großen Katalogs bilden.
In dem von dem Kommunikations-Designer Florian Frohnholzer gestalteten Band sind u. a. die Plakatierung der Mauer zwischen Israel und Palästina, ein Kulturprojekt in einer Favela in Rio de Janeiro, ein Wandbild über Waffen in Amerika sowie eine riesige Installation am Grenzzaun zwischen den USA und Mexiko zu bestaunen. Dabei widmet sich JR stets den Menschen eines bestimmten Ortes, denen er auf ebenso scharfsinnige wie einfühlsame Weise Sichtbarkeit verleiht.
Das Katalogbuch beinhaltet die bislang umfassendste Retrospektive der künstlerischen Personenaufnahmen von JR, die größtenteils in seinem zum mobilen Photostudio umgebauten „Inside-Outside-Truck“ entstanden. Der Künstler selbst stellt zu seiner Arbeit fest: „Mir gehört die größte Galerie der Welt – die Mauern der Stadt!“ (vZ)
JR: Chronicles
Hrsg.: Kunsthalle München
Vorwort: Roger Diederen
Beiträge von Sharon Matt Atkins, Drew Sawyer
240 Seiten, 220 Abbildungen in Farbe
Format: 23 x 29 cm, Hardcover
München, Hirmer Verlag
ISBN: 978-3-7774-4023-1
39,90 €
Ausstellung in der Kunsthalle München noch bis 15. Januar 2023