Das Buch »Grand Tour XXL« zeigt keine Photographien ist aber für die zeitgenössische Photographie von besonderem stilistischen und thematischen Interesse. Es gibt praktische Anregungen wie man als Photograph*in sich künstlerisch, thematisch und in seiner Bildsprache weiterentwickelt. Daraus ergeben sich neue formale und theoretische Themen, die im Idealfall neue Werkserien entstehen lassen.
War eine im 18. Jh. als „Grand Tour“ bezeichnete Bildungsreise für junge Männer der adligen Gesellschaft eine Pflicht auf dem Weg zur Akzeptanz in ihrer Gesellschaftsschicht, kommt mit J.W. Goethe die Wende. In der Rezeption seiner literarischen „Italienische Reise“ wird diese zum Erweckungserlebnis für alle künstlerisch tätigen Menschen bis heute. Sie war allein schon in den Werkserien von Michael Ruetz (Goethes Italienische Reise) und Helmut Schlaiß (Italienische Reise) zweimal Grundlage einer photographischen Auseinandersetzung mit dem Land.
Ab 1800 ist es für die Künstler des 19. bis 21. Jahrhunderts eine unverzichtbare Studienreise, die über Stipendien auf die kulturelle „Italiensehnsucht“ anregend wirkt. Sie dient der künstlerischen Weiterbildung durch Inspiration aus der italienischen Landschaft und Kultur mit der gegenseitigen Anregung aus alten und neuen Kunst-Stilen. Ab 1800 ist es die eigenständige Entdeckung anderer Länder (Landschaft, Architektur, Menschen) durch Beobachtung, Anschauung, die in der Reflexion zu neuen Werken führt! Der Künstler (Photograph) als Entdecker neuer von Licht und südlicher Atmosphäre (Alltagsleben) erfüllten Welten als Interpret neuer Realitäten, die er aus einem gewandelten Verhältnis zur Umwelt, in skizzenhaften Momenten und genau durchgestalteten Motiven zu einem Thema mit einer Mischung aus Fantasie und Realität entwickelt.
Aber auch für Generationen von Malern Bildhauern Literaten wurde „Italien“ bis heute zur Grundlage ihrer künstlerischen Arbeit. Immer wieder miteinander wetteifernde künstlerische Entwicklungen, ein steter Wechsel zwischen antiker Rezeption und Aufbruch in die Moderne, daraus entstanden neue Sichtweisen und Ausdrucksformen immer bezogen auf die jeweiligen Zeiten. Der russische Künstler Emelˈjan M. Korneev (1780 – nach 1839) hat auf seinen Reisen viel gezeichnet von besonderem Interesse in diesem Themenbezug sind das „Griechenland-Album“ (heute im Deutschen Archäologischen Instituts in Berlin), und die klassischen Orte „Bucht von Neapel, auf Ischia, den Phlegräischen Feldern, Paestum und Tivoli,“ in Italien.
Eine weiteres Photographiethema in diesem Buch ist die „Ruinenkultur“ zu der der Photograph Jonathan Danko Kielkowski (1988) Motive aus seinen Serien „zu Projekten in Italien, Spitzbergen und Kasachstan“ im „Forum 051 für junge Fotografie“ zeigt. Bedauerlicherweise ist dieser interessante Aspekt nicht durch eine Publikation dokumentiert und somit nur vom Ausstellungsbesucher nachvollziehbar.
Die ausführliche wissenschaftliche Erschließung, dieses Themas ist ein bedeutender internationaler Forschungsbeitrag und ermöglicht, dass man heute (2021) aus diesem Fundus schöpfen kann und in den kommenden Jahren sicher neue Werkserien auch als Bücher präsentiert werden. Daher ist diese Publikation gerade auch für Photographen*innen von besonderer Bedeutung aber darüber hinaus auch für Kunstwissenschaftler und an Italien und Kunstprozessen interessierte Laien. Ein empfehlenswertes Buch als Dokument der kulturellen Bedeutung Italiens aber auch für die stilistischen Impulse für die Photographie. Ein interessantes Buch, das schön gestaltetet ist mit einer sachlich funktionalen Buchgestaltung. (db)
Ausstellung bis 30. Januar 2022 im Münchner Stadtmuseum (München)
Grand Tour XXL. Der Reisekünstler Emelˈjan Korneev
Hrsg.: Nico Kirchberger für das Münchner Stadtmuseum
Texte: Anna Ananieva, Victoria Cordts, Susanne Glasl, Nico Kirchberger, Peter Prange
Deutsch, Englisch
Buchgestaltung Festeinband
224 Seiten mit 130 farbigen Abbildungen,
Deutscher Kunstverlag, München
ISBN: 9783422986671
29,90 €