Das Buch 'Generative Systeme' und die Ausstellung in Würzburg zeigen Werkserien aus den wichtigsten Arbeitsgebieten und Schaffensperioden von Prof. Gottfried Jäger (*1937), der mit der „Generativen Fotografie" einen Beitrag zur ungegenständlichen Fotografie geleistet und diesen auch als Lehrer an der FH Bielefeld an die folgenden Fotografen*innen-Generationen weitergegeben hat. Als bedeutender Vertreter der westdeutschen Nachkriegskunst hat er sich intensiv mit den avantgardistischen Kunstformen der 1920er Jahre, mit der Radikalität ihrer Bildlösungen auseinandergesetzt. Dazu gehören Fotogramme, experimentelle Bilder, der „Licht-Raum-Modulator“ von Moholy-Nagy und die Luminogramme u.a. von Otto Steinert, Peter Keetman und Heinrich Heidersberger.
Inspirationen für seine Arbeiten erhält er von dem Pionier der Computergrafik Herbert W. Franke und aus Diskursen im Umkreis des Philosophen Max Bense. Sie kreisen um das Verhältnis von Mensch und Maschine und die Bedeutung des Apparates bei der Erzeugung ästhetischer Strukturen, heute unter dem Begriff „Künstliche Intelligenz“ diskutiert. Daraus entwickelte Gottfried Jäger die „Generativen Systeme“, eine gegenstandslose Kunst mit dem Medium der Fotografie, die Bezug nimmt auf die intensive Auseinandersetzung mit der Technik-Philosophie der Nachkriegszeit. Mit experimentellen und abstrakten Ansätzen wird das Medium zum Objekt seiner künstlerischen Tätigkeit. Es folgen Ende der sechziger Jahre generative “Lochblendenstrukturen” (mit einer oder mehreren Öffnungen werden Bilder erzeugt), später dann farbige Arbeiten, Material-Bilder. Diese Verfahren bildeten nicht ab, sondern mit den technischen Mitteln werden neue ungesehene Bilder erzeugt, die das Bildermachen thematisieren, das Entstehen von fotografischen Bildern. Die programmierte Bilderzeugung, aber auch Licht, Farbe, Fotopapier stehen dabei mit unterschiedlicher Gewichtung im Zentrum von Jägers Arbeit, bis hin zur digitalen Bilderzeugung in den 2000er Jahren. Dieser Ansatz gehört zum Diskurs der Kunst so Kurator und Textautor Stefan Gronert - Jäger sei eine Schlüsselfigur der deutschen abstrakten und experimentellen Kunst und Fotografie.
Mit seinen theoretischen Schriften zur bildgebenden Fotografie, durch seine Lehre und seine Symposien an der FH Bielefeld ist er international bekannt. Bereits in den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelte er den Begriff der „Generativen Fotografie.“ Das Museum im Kulturspeicher (Würzburg) hat mit der Sammlung Peter C. Ruppert einen bedeutenden Querschnitt durch sein Werk. 2005 und 2015 kuratierte Jäger wegweisende Ausstellungen zum Thema der Konkreten Fotografie in Würzburg.
Dem Museum im Kulturspeicher (Würzburg) und dem Sprengel Museum (Hannover) gebührt Anerkennung, dass sie die Werkgruppen des bedeutenden Künstlers mit diesem Buch und zwei Ausstellungen würdigen. Das Buch stellt den Künstler und Fototheoretiker in einen Zusammenhang mit der künstlerischen Entwicklung und der bildgebenden Stilentwicklung der letzten 60 Jahre.
Diese themenreiche Retrospektive zeigt eine exemplarische Auswahl, deren Aufeinanderfolge die künstlerische Entwicklung nachvollzieht. Sie zeigt, dass dem vielbeachteten theoretischen Werk auch ein beachtenswertes künstlerisches Schaffen gegenübersteht, das für Fachwelt und Publikum noch zu entdecken ist. Das Buch wird sicher zu einem Diskurs über die „Generative Fotografie“, ihre Möglichkeiten und stilistischen Varianten in Bezug auf die bildgebende Fotografie und die Abgrenzung von Fotografie und Kunst anregen.
Das Buch zeigt ein weiteres Mal, dass avantgardistische Kunstformen mit der Radikalität ihrer Bildlösungen auch neue Perspektiven für die „künstlerische Fotografie“ schaffen und so einen interdisziplinären Austausch bieten. Aktive Fotografen *innen sind aufgefordert diese theoretische Auseinandersetzung im Spannungsbereich von Fotografie und Kunst aufzugreifen und weiterzuentwickeln, um in einem digitalen Umfeld eigene Akzente und neue stilistische Wahrnehmungen und Perspektiven zu schaffen. (db)
Ausstellung noch bis 10. September 2023 im Museum im Kulturspeicher (Würzburg)
Fotografien der Fotografie. Generative Systeme 1960 bis 2020
Prof. Gottfried Jäger
Hrsg.: Sprengel Museum Hannover
Texte von Stefan Gronert, Dr. Henrike Holsing, Dr. Kathrin Schönegg, Dr. Gudrun Wessing
Deutsch, Englisch
Buchgestaltung Festeinband
184 Seiten mit ca. 180 Abbildungen in Schwarz-Weiß und Farbe
Wienand Verlag, Köln
ISBN 978-3-86832-751-9
30,00 €