Die Publikation „Fortschritt als Versprechen“ des Deutschen Historischen Museums (Berlin) ist als Buch dem historischen Aspekt der Selbstdarstellung der beiden deutschen Staaten (BRD, DDR) mit ihren industriellen Kapazitäten gewidmet und tut dies mit dem Medium der Fotografie. Es also erst in zweiter Hinsicht eine Darstellung der Industriefotografie von 1950-1989 in Deutschland. Um dem Anspruch der „Industriefotografie im geteilten Deutschland“ gerecht zu werden, ist das Buch in fünf Kapitel - Kohlebergbau, Chemieindustrie, Textilindustrie, Automobilindustrie - strukturiert, die jeweils das Thema in der Bundesrepublik und der DDR vorstellen.
Die gezeigten Bildmotive sind u.a. - „Bergmann mit Grubenlampe, Waschkaue, Bergmann unter Tage, Bagger im Braunkohle-Tagebau in Welzow-Süd, Hochöfen im Stahlwerk Rheinhausen, Qualitätskontrolle im VEB Rohrkombinat Stahl- und Walzwerk Riesa, Walzdraht im Schlingenlager im VEB Werner Unfug, Schmieden einer Turbinenwelle, Labor des VEB Filmfabrik Wolfen, Produktion von Perlon bei der Bayer AG, Produktion von Folien bei BASF, Auszubildende im VEB Chemische Werke Buna, Kettbäume in der Weberei bei NINO, Ringspinnerei in der Augsburger Kammgarnspinnerei, VEB Baumwollspinnerei Leinefelde, Arbeiterinnen im VEB Baumwollspinnerei und Zwirnerei Leinefelde, Montage des Opel Rekord P2, Arbeiterin an der Montagestraße des Trabant P 60, Endmontage des Wartburg 353, Karosserien im Volkswagenwerk.
Beide Staaten geben mit Motiven wie rauchenden Schornsteinen, Lächeln auf rußverschmierten Gesichtern, dramatisch beleuchteten Produktionshallen, glühendem Stahl, schier endlosen Fließbändern gegenüber ihren Bürgern das Zukunfts-Versprechen von der Aussicht auf mehr Konsum, schönere und funktionellere Produkte, höhere Arbeits- und Lebensqualität, technische Weiterentwicklung. Mit einem Wort gesagt - auf Fortschritt und mehr Lebensqualität.
Die Auswahl und die Anordnung der Fotografien erfolgt im Kontext ihrer zeitgenössischen Nutzung und macht die Unterschiede und Gemeinsamkeiten in den Darstellungen des Fortschritts – und damit des Versprechens auf ein besseres Leben – in Ost und West sichtbar. Die historischen Fotografien zeigen, dass Umweltschutz und Nachhaltigkeit für diese Zukunft noch keine Rolle spielten.
Heute kennen wir faszinierende Fotografien von Offshore Parks, Laboren der digitalen Produktion und Recycling von Wertstoffen - somit ist auch die Zukunft der Industriefotografie gesichert.
Eine interessante Publikation, die die Frage nach der damaligen Bildsprache und ob diese von den beiden unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Systemen in beiden Teilen Deutschlands geprägt wurde stellt und einen Diskurs anregt, ob die aktuellen Themen ein andere Bildsprache z.B. eine stärkere Einbeziehung der Umwelt in den Bildaufbau erfordert. Hat sich aktuell die Darstellung des Fortschritts geändert, gibt es andere Aspekte wie den ökologischen Faktor und wie ist dieser visualisierbar?
Was als fortschrittlich und damit darstellungswürdig gilt, hat sich geändert und die Fotografie spiegelt aktuell wiederum die gesamtgesellschaftlichen Prioritäten und Wünsche wider. Ein anregendes Buch für alle die sich mit der Thematik der Industriedarstellung auseinandersetzen möchten. (db)
Ausstellung bis 29. Mai 2023 im Deutschen Historischen Museum (Berlin)
Fotos: Ludwig Windstosser, Hannes Kilian, Ruth Hallensleben, Gerhard Kiesling, Fritz Henle, Eugen Nosko, Karl-Heinz Kämmner, Wolfgang G. Schröter, Gottfried Roßkopf, Peter Straube, Alfred Tritschler, Martin Schmidt, Hans Landsiedel u.a.
Hrsg.: Stefanie R. Dietzel, Carola Jüllig
Texte: Stefanie R. Dietzel, Thomas Dupke, Stefanie Grebe, Annette Schuhmann
Steffen Siegel, Friedrich Tietjen
Deutsch
Buchgestaltung Klappenbroschur
256 Seiten, 280 Abbildungen in Schwarz-Weiß und Farbe
Hatje Cantz Verlag, Berlin
ISBN 978-3-7757-5426-2
44,00 €