Der Verlust der Mitte ist der Gewinn des Randes. Fritz Schleifer

Die Monografie »Der Verlust der Mitte ist der Gewinn des Randes« ist der berufliche Werdegang des Hamburger Bauhausschülers Fritz Schleifer zwischen Architektur und Kunst. Charakteristisch dafür ist, dass all seine Werkgruppen auf geometrischen Formen beruhen. Das Buch stellt Fritz Schleifers künstlerischen Lebensweg (kommentierte Biografie), sein bildkünstlerisches Schaffen am Bauhaus, sein Wirken als „Architekt einer ungebauten Moderne“ vor und positioniert ihn zwischen „Bauhaus und Op Art.“

Aus fotografischer Sicht ist der Beitrag „Von der Raumidee zur Bildfläche“ von Christiane Stahl (DGPh) besonders interessant, in dem sie nicht nur sein fotografisches Werk aus dem Bauhaus Vorkurs, die Arbeiten mit Glas und seine Lichtstrukturen vorstellt, sondern diese auch in Bezug zu Arbeiten von László Moholy-Nagy und Umbo (Otto Umbehr) stellt. Das Credo seiner Fotografie war „ideen geometrischer abwandlungen mit grafischen mitteln sichtbar machen“ und so sind seine Motive auch gestaltet, in denen der Konstrukteur sehr dominant ist. Es geht ihm weniger um das Objekt/die Landschaft, sondern mehr um die Konstruktion des Motivs nach grafischen Gesichtspunkten.

Zentraler Punkt seines fotografischen Schaffens ist die Serie „Küstenland“, bei der es am deutlichsten zu Überschneidungen zu den Fotografien von Alfred Ehrhardt „Das Watt“ und Albert Renger-Patzsch „Die Halligen“ kommt. Exemplarisch wird das z.B. in der Fotografie „Krabbenfischerin“ von Albert Renger-Patsch deutlich, die Funktion, Ästhetik und spannungsreiche Bildgestaltung verbindet. Alle drei Fotografen sind inspiriert vom „Neuen Sehen“ aber nur Ehrhardt und Renger-Patzsch gehen den Weg zur „Neuen Sachlichkeit“ bei den vom Meer, Strand und Dünen geprägten Küstenlandschaften.

Fritz Schleifer dagegen bleibt in der erst kürzlich (2020, 128 Vintageprints) wiederentdeckten Werkserie „küstenland“ in sehr formalen Strukturen, die weder als Landschaftsbild noch fotografisch ganz überzeugen können. Uferformen und Priele nutzt er als rasterartige Linien, die zusammen mit Deichen und Wegen starke Fluchtlinien in seinen Kompositionen bilden. Schleifer blieb ein konstruierender Architekt mit einem „bildarchitektonisch geschulten Blick“ - ein künstlerischer Fotograf - wie die beiden anderen Beispiele zeigen - ist etwas anderes. Alfred Ehrhardts Fotografien des Watts sind grafische Strukturen doch so sachlich und objektiv geprägt, dass auch ein Meeresforscher sie nutzen könnte.

Die in dem Beitrag von Christiane Stahl vorgestellten Bildmotive und die Vergleiche zu anderen Fotografen wie Alfred Ehrhardt und Albert Renger-Patzsch ermöglichen uns die stilistischen Entwicklungen und ihre individuelle Umsetzung neu einzuordnen. Aktive Fotograf*innen sind eingeladen zum Diskurs über die Möglichkeiten und stilistischen Varianten konzeptueller Fotografie.  

Es ist anerkennenswert, dass die Alfred Ehrhardt Stiftung (Berlin) diese interessante Position zum „Neuen Sehen“ mit einer Ausstellung und einem Fachtext (Buch) würdigt, und so diese Werkgruppe in Deutschland bekannt macht. (db)

Ausstellung bis 23.12.23 in der Alfred Ehrhardt Stiftung (Berlin)


Der Verlust der Mitte ist der Gewinn des Randes
Fritz Schleifer
Hrsg.: Hans Bunge
Texte von Norbert Baues, Hans Bunge, Martin Engler, Ulrich Höhns, Rüdiger Joppien, Christiane Stahl
Deutsch
Buchgestaltung Festeinband, Fadenheftung, Lesebändchen und Anaglyphenbrille
216 Seiten, 208 Abbildungen in Schwarz-Weiß und Farbe
Dölling und Galitz Verlag, München/Hamburg
ISBN 978-3-86218-167-4
40,00 €