Dem Kunsthistoriker Bertram Kaschek ist zu verdanken, dass der Nachlass des Photographen Christian Borchert (1942-2000) in dem Buch „Tektonik der Erinnerung“ und zwei Ausstellungen einem breiteren Publikum zugänglich gemacht wird. Christian Borchert hatte seit Mitte der 1950er Jahre in Dresden und Berlin im Stil des Bildjournalismus photographiert. Aus dieser Tätigkeit erhielt er 1977 den Auftrag für die Langzeitdokumentation des Wiederaufbaus der Dresdener Semperoper (-1985). Diese wirtschaftliche Unabhängigkeit ermöglichte ihm mit dem Projekt „Künstler*innenporträts“ zu beginnen, welches die Abkehr vom Bildjournalismus bedeutete.
Seine nun narrative und poetische Bildsprache wird auch durch seine Freundschaft u.a. mit den Lyriker*innen Elke Erb (*1938) oder Richard Pietraß (*1946) angeregt. Das umfangreiche, systematisch angelegte Langzeitprojekt der „Familienporträts“ (1983-1985 und 1993-1994) ist in den ideologisch aufgeladenen 80er Jahren eine Möglichkeit unabhängiger künstlerischer Arbeitsweise, und doch eine zeitgeschichtliche Komponente haben. Aus heutiger Perspektive ist die 1977 begonnene „DDR-Sammlung“ ein besonderer Zeitblick aus künstlerischer Sichtweise. Seit Anfang der 1990er-Jahren erarbeitet Borchert die Werkserie „Tektonik der Erinnerung“ mit der er seine Geburtsstadt Dresden im Spiegel der jüngeren Geschichte „mit einem aufmerksamen, teilnehmenden, aber auch kritischen Blick“ auf die Alltagswirklichkeit zeigt.
Ein besonderer Aspekt bei diesem photographischen Archiv von circa 230.000 SW-Negative, zumeist mit Kontaktbögen, etwa 5.500 Farbdiapositive, und circa 20.000 Arbeitsabzügen und 4.000 Vergrößerungen für Ausstellungen ist, dass bereits der Photograph eine systematische und umfangreiche Katalogisierung seiner Werkserien erstellt hat. Sein Archiv war keine Ablage erledigter Arbeiten sondern ein „gepflegtes, kommentiertes und benutztes Arbeitsinstrument.“ So war die Erschließung des Nachlasses von Christian Borchert durch Aufteilung des Freundes,Verlegers und Photographen Hansgert Lambers auf die Institutionen Berlinische Galerie (Ulrich Domröse), dem Dresdner Kupferstich-Kabinett (Hans-Ulrich Lehmann) und den damaligen Leiter der Deutschen Fotothek (Wolfgang Hesse, Dresden) sehr effektiv. Das komplette Arbeitsarchiv mit Negativen, Kontaktbögen und kleinen Abzügen samt dazugehörigen Karteien und Materialien gelangte an die Deutsche Fotothek in der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek (SLUB) Dresden.
Das Buch ist eine wichtige Neuerscheinung, da es stilistisch einen bedeutenden Photographen vorstellt und zugleich dazu anregt, über die aktuelle Frage nachzudenken, welche identitätsstiftende Wirkung künstlerische Photographie in Verbindung mit Zeitgeschichte haben kann. Ein sehr empfehlenswertes Buch als Dokument einer Zeitepoche deutscher Geschichte aber auch für die klassische SW-Photographie.
Mit diesem Buch und den Ausstellungen wird das photographische Werk von Christian Borchert aus dem Archivdasein herausgeholt und es ist ein bedeutender Beitrag zur 30. Wiederkehr der Deutschen Einheit. Das Buch ermöglicht einen interkulturellen Austausch zwischen Ost und West, damit wird auch das Interesse von Sammlern der Photographie geweckt. (db)
Christian Borchert. Tektonik der Erinnerung
Photographien von Christian Borchert
Herausgeber Staatliche Kunstsammlungen Dresden
Vorwort Bertram Kaschek
Texte von Bertram Kaschek, Peter Gehrisch
Deutsch, Englisch
Buchgestaltung Festeinband
496 Seiten, ca. 420 Abbildungen in Schwarz-Weiß
Spector Books, Leipzig
Buchhandel: 42,00 €, Museumspreis: 35,00 €
ISBN 978-3-95905-323-5