© Helmut Newton, Italian Vogue, Monte Carlo 2003 (SX-70)
© Helmut Newton, Italian Vogue, Monte Carlo 2003 (SX-70)
Ausstellungsdatum
-
Name der Galerie / Museum / Ausstellungsort
Beschreibung

Das Polaroid-Verfahren hat seit den 1960er-Jahren die Fotografie revolutioniert. Wer diese Kamera jemals benutzt hat, wird den Geruch der Entwicklungsemulsion und die Faszination für das Sofortbild nicht vergessen haben. Gelegentlich entwickelte es sich von allein, während es bei manchen Verfahren zusätzlich nötig war, eine Fixierflüssigkeit über die Bildoberfläche zu ziehen. Insofern ist es – zwar nicht in fototechnischer Hinsicht, wohl aber wegen der schnellen Verfügbarkeit – ein Vorläufer der digitalen Fotografie von heute.

Polaroids als Prints sind zumeist Unikate. In nahezu allen fotografischen Genres – Landschaft, Stillleben, Porträt, Mode und Akt – und überall auf der Welt fand die ungewöhnliche Bildtechnik begeisterte Anwender. Auch Helmut Newton liebte es, mit unterschiedlichen Polaroid-Kameras zu fotografieren sowie mit Hilfe von Sofortbild-Rückteilen, die die Rollfilmkassetten seiner Mittelformat-Kameras ersetzten. Dies geschah von den 1960er-Jahren bis zu seinem Tod 2004, vor allem in Vorbereitung seiner Mode-Shootings. Polaroids entsprechen in diesem Zusammenhang einer Art Ideenskizze und dienen zugleich der Überprüfung der konkreten Lichtsituation und Bildkomposition. Gleichwohl hat Newton diesen Sofortbildern, auch wenn sie zunächst als bloße Vorstudien entstanden waren, bereits 1992 ein eigenes Buch gewidmet und 2011, also posthum, erschien ein zweites. Einige Polaroids hat Helmut Newton als eigenständige Werke signiert; sie werden mittlerweile für hohe Summen auf dem Kunstmarkt gehandelt.

Im Berliner Stiftungsarchiv befinden sich Hunderte solcher Original-Polaroids; daraus wurde nun eine neue repräsentative Auswahl getroffen und durch Polaroid-Vergrößerungen ergänzt. Die Fotografien sind mehr oder weniger chronologisch, nicht genrespezifisch angeordnet; gleichwohl wird deutlich, dass Newton seine Polaroid-Kamera jahrzehntelang in allen Arbeitsbereichen angewendet hat. Die Präsentation gleicht einem Blick ins Skizzenbuch eines der einflussreichsten Fotografen des 20. Jahrhunderts und erlaubt den Besuchern zugleich, zumindest vor dem inneren Auge, den Entstehungsprozess von der ersten Bildidee zum endgültigen, von Newton freigegebenen Foto nachzuverfolgen.

In der aktuellen Gruppenausstellung werden Newtons Polaroids durch zahlreiche Werke von mehr als 60 zusätzlichen Fotografen und Fotografinnen ergänzt, unter anderem in Kooperation mit OstLicht Wien, aus deren großer Polaroid-Sammlung Kurator Matthias Harder frei wählen konnte. Dank der Initiative von Peter Coeln, Gründer von WestLicht Wien, wurde 2010 die ehemalige International Polaroid Collection, die über 20 Jahre bei der Firma Polaroid lagerte und etwa 4400 Werke von 800 Fotografen beinhaltete, von WestLicht gekauft und so in Gänze aus der Konkursmasse des Unternehmens gerettet und neu institutionalisiert.

So umfasst die Berliner Gruppenausstellung die unterschiedlichsten Polaroid-Verfahren und Bildformate – SX-70, Polacolor 20 × 24, FP-100 oder Polaroid T808 – sowie experimentelle Weiterbearbeitungen einzelner Prints oder ganzer Tableaus. Pola Sieverding ist mit ihrer kleinformatigen SX-70 Polaroid-Serie „Valet“, die nahansichtig männliche Wrestler zeigt, vertreten. Ihr italienischer Kollege Maurizio Galimberti hingegen lässt monumentale Polaroid-Mosaiken entstehen – ein wahrlich physischer Akt, bei dem er den Bildgegenstand geradezu obsessiv umkreist, sei es ein Mensch, ein Gebäude oder eine Blume. Die Einzelbilder, die jeweils nur ein winziges Detail zeigen, setzt er später zu einem Gesamtbild zusammen, das dreidimensional aufgeklappt erscheint.

Auch die beiden Serien von Marike Schuurman sind experimenteller Natur: Inkjet-Print-Vergrößerungen, die auf SX-70 Polaroids beruhen. „Toxic“ ist eine Auseinandersetzung mit dem Braunkohlerevier in der Lausitz, südlich von Berlin. Durch den Abbau der Kohle entstanden Krater, die mit Wasser gefüllt wurden, das wiederum sehr sauer ist. Schuurman fotografierte die künstlichen Seen mit der Polaroid-Kamera und ließ die SX-70 Prints in deren Wasser mit niedrigem PH-Wert weiterentwickeln, was die Farben der Polaroids radikal veränderte. In der zweiten Serie „Expired“ zerfließen die Farben des längst abgelaufenen Filmmaterials.

Charles Johnstone veröffentlicht in unregelmäßigen Abständen kleinformatige Publikationen mit seinen Polaroids mit einer jeweils abgeschlossenen Bildgeschichte. Einige Projekte, etwa über Monica Vitti, entstehen als Kamerablicke auf einen Bildschirm und werden schließlich zu einem Buch gebunden, für andere Sequenzen wie „Escape“ arbeitet Johnstone eng mit einem realen Modell zusammen, aufgenommen unter anderem en plein air an einem Swimming Pool in Upstate New York. So entstehen völlig eigenständige Künstlerbücher, teilweise mit eingelegten C-Prints von den Polaroids als Vorzugsausgaben, die in einer Vitrine in der Raummitte zu finden sind.

Die amerikanische Fotografin Sheila Metzner wurde bereits vor einigen Jahren mit ihren so zeitlosen wie einfühlsamen Porträts, Stillleben und Aktfotografien, realisiert als Fresson Prints, in der Helmut Newton Stiftung vorgestellt. Ihre hier erstmals präsentierten Polaroids, die sich in der persönlichen Sammlung der Newtons befanden, offenbaren nun ihren mit Newton vergleichbaren Ansatz, bestimmte Motive kompositorisch mit Hilfe solcher Sofortbilder vorzubereiten.

Ob seriell oder als Einzelbild, in Form eines gigantischen Polaroid-Mosaiks oder als Künstlerbuch – die neue Ausstellung „Polaroids“ ist die größte Präsentation dieses fotografischen Prozesses, die seit langem in Berlin zu sehen war.