Mit dem renommierten Dr. Erich Salomon-Preis zeichnet die Deutsche Gesellschaft für Photographie (DGPh) 2024 die Dokumentarfotografin Andrea Diefenbach aus. Damit würdigt sie die besondere Hinwendung der Fotografin zu wenig beachteten prekären Lebenssituationen in östlichen Ländern, speziell in dem kleinen Land Moldawien, und deren Vermittlung in unaufgeregten Bildern.
„Diefenbach zeichnet sich durch einen empathischen Blick auf die Welt aus. Sie erzählt ruhig und unaufgeregt Geschichten von Menschen und ihren Schicksalen, ohne modische Effekte zu bemühen. Es gelingt ihr, ein tiefgründiges, humanistisches Werk zu erschaffen“, begründet der Vorsitzende der DGPh, Michael Biedowicz, die Entscheidung, die aus Vorschlägen aller DGPh-Mitglieder getroffen wird.
Andrea Diefenbach, 1974 in Wiesbaden geboren, wurde bekannt durch ihr 2008 erschienenes Buch „Aids in Odessa“, basierend auf ihrer Diplomarbeit an der Fachhochschule Bielefeld. Im Frühjahr 2006 hatte sie einzelne HIV-positive Frauen und Männer in Odessa begleitet und die Besorgnis erregende Aids-Epidemie in der ukrainischen Millionenstadt dokumentiert, die in der westlichen Öffentlichkeit bis heute kaum wahrgenommen wird. „Es sind Bilder, die sichtbar machen, wie sehr Leid und Schmerz im gesamten Land um sich greifen. Um so zu fotografieren, muss man diesen Schmerz mitfühlen – und das spürt man in jedem einzelnen Bild“, anerkennt der 1938 in Charkiw, Ukraine, geborene Boris Mikhailov das Werk der jungen Kollegin.
In zwei weiteren Fotobüchern, „Land ohne Eltern“ (2012) und „Realitatea“ (2022), geht es um Moldawien. „Auf der Suche nach der sozialen Identität der Republik Moldau bin ich für beinahe zehn Jahre immer wieder durch die ländlichen Regionen des kleinen Landes gereist, das seit seiner Unabhängigkeit vor 30 Jahren in einer Identitätskrise steckt. Es ist ein zwischen EU und Russland, Stillstand und Fortschritt, Korruption und Rechtsstaatlichkeit hin- und hergerissenes Land“, erläutert die Fotografin.
In ihrer Serie „Land ohne Eltern“ beschreibt sie die Lebenssituation von Arbeitsmigranten. Ihre Fotografien verdeutlichen geradezu schmerzhaft die Distanz zwischen den in der Heimat zurückgelassenen, auf sich gestellten Kindern und den Eltern in der Ferne.
Die Publikation „Realitatea“ versammelt nicht nur fotografische Vignetten aus einem Land im Schwebezustand, sondern verbindet diese durch Faksimiles moldauischer Zeitungen und Texte mit den politischen Ereignissen der vergangenen zehn Jahre.
Andrea Diefenbachs Arbeiten wurden vielfach ausgezeichnet und international ausgestellt. Von 2016 bis 2022 war sie Senior Lecturer an der Hochschule Luzern. Seit 2022 ist sie Professorin für Fotografie an der Hochschule für Künste in Bremen.
Die Preisverleihung fand im Rahmen der DGPh Foto-Gala, einer geschlossenen Abendveranstaltung im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg, am 12. Oktober 2024 statt.