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Joan Fontcuberta: What Darwin Missed
Eröffnung am Freitag, 13. September 2024, 19 Uhr
in Anwesenheit des Künstlers
Die Ausstellung Joan Fontcuberta: What Darwin Missed zeigt eine neue, eigens für die Alfred Ehrhardt Stiftung konzipierte Werkserie mit rund 40 Arbeiten des international renommierten katalanischen Fotografen, Kurators, Essayisten und Dozenten Joan Fontcuberta (*1955). Bekannt ist der Künstler für sein Spiel mit dem Publikum und den Grenzen zwischen Realität und Fiktion. In seinen Arbeiten reflektiert er die Rolle der Fotografie bei der Darstellung von Wirklichkeit, wiederholt hat er sich kritisch, aber stets humorvoll provokativ mit dem Abbild in wissenschaftlichen Disziplinen wie Botanik oder Zoologie auseinandergesetzt.
Für die aktuelle Ausstellung hat sich Fontcuberta intensiv mit dem Archiv der Stiftung auseinandergesetzt und einen Forschungsauftrag fortgesetzt, den Alfred Ehrhardt 1938 für das Naturhistorische Museum Hamburg begonnen hatte, aber aufgrund historischer Umstände nicht beenden konnte.
Die Historie sei kurz umrissen: Anlässlich des 100-jährigen Jubiläums von Charles Darwins Publikation The structure and distribution of coral reefs von 1842 wurde Alfred Ehrhardt 1938 beauftragt, die Korallensammlung des Naturhistorischen Museums Hamburg zu fotografieren. Acht dieser Aufnahmen werden in der Ausstellung zu sehen sein, ergänzt durch Ehrhardts preisgekröntem Film Korallen – Skulpturen der Meere aus dem Jahr 1964, der als späte Erfüllung seines Auftrags gelten kann. Zusammen mit dem Leiter der Korallensammlung sollte er auf den Spuren Charles Darwins und der Tiefsee-Expedition Valdivia auf den Galapagos und Cocos (Keeling) Inseln einer hochspezialisierten Korallenart nachspüren. Durch den Ausbruch des 2. Weltkriegs kam es weder zu der Expedition noch zu einer Publikation. 1943 wurde das Naturhistorische Museum Hamburg und damit auch die Korallensammlung im Feuersturm vollständig zerstört.
Joan Fontcuberta beschäftigt sich seit den 1980er Jahren künstlerisch mit ungewöhnlichen und naturwissenschaftlichen Phänomenen. Ehrhardts Fotografien von Korallen faszinieren ihn unter anderem, weil diese seltsamen zoologischen Gebilde fälschlicherweise für Hybridarten aus dem Pflanzen- und Mineralreich gehalten wurden. Besonders reizte ihn aber der Gedanke, die nie stattgefundene Expedition zu unternehmen und nach den Korallenarten zu suchen, die Darwin entgangen waren.
Fontcuberta machte sich auf die Reise und wurde fündig: Seine Aufnahmen entstanden sowohl an diesen entlegenen Orten als auch in Sammlungen europäischer Naturkundemuseen (Berlin, Paris, Barcelona, Bologna, Granollers). Sie zeigen verschiedenste Korallen, darunter eine neu entdeckte Art namens Cryptocnidaria, die extreme Anpassung an bestimmte Umweltbedingungen wie sehr hohe oder niedrige Temperaturen, ungewöhnliche pH-Werte oder hohen Wasserdruck in der Tiefsee aufweist. Diese Cryptocnidaria lassen Spekulationen über anormale genetische Effekte zu, die möglicherweise durch Chemikalien oder Radioaktivität verursacht wurden. Die Geschwindigkeit und Komplexität dieser Anpassungen stellen Darwins Evolutionsmodell in Frage, demzufolge sich solche Veränderungen allmählich über viele Generationen und durch zufällige Mutationen und natürliche Selektion entwickeln sollten.
Hinter der exquisiten Eleganz der Formen der Natur, gesehen durch den Filter der Fotografie der Neuen Sachlichkeit und der Wissenschaftsfotografie, stellt Fontcubertas Entdeckung nicht nur eine große Herausforderung für Darwins Evolutionstheorie dar, sondern fordert zugleich die Betrachterinnen und Betrachter zu genauem Hinsehen auf. Die Forschungsreise ist das erzählerische Moment, aus dem sich die Ausstellung entwickelt, die ganz auf dem Verhältnis von Fakten und Spekulation, Wissenschaft und Kunst basiert – nicht alles, was das Auge sieht, sollte ungeprüft als wahr hingenommen werden, und nicht alles, was sich als wissenschaftlich ausgibt, ist auch zwingend richtig. In der Ausstellung treten Fontcubertas Korallenfotografien in den Dialog mit Originalfunden aus dem Museum für Naturkunde Berlin. Die naturkundlichen Exponate der Korallen erhalten durch die vom Künstler eigens für diese Ausstellung angefertigten Fotografien eine neue Qualität.
Fontcubertas Aufnahmen bezeugen, dass wir unsere Ansätze zum Verständnis des Ursprungs und der Vielfalt des Lebens auf der Erde überdenken müssen. In Anlehnung an Darwin plädiert er für die Notwendigkeit des Zweifels und zeigt, dass selbst die anerkanntesten Theorien immer wieder in Frage gestellt werden müssen, weil die Wissenschaft nichts anderes ist als eine Reihe vorläufiger Wahrheiten.
Vor allem aber ermutigt er uns, nicht der überzeugenden Illusion von Bildern zu erliegen.
Anlässlich der Ausstellung erscheint eine Publikation mit Texten von Joan Fontcuberta, Rosa Russo und Christiane Stahl, 112 Seiten, 60 Abbildungen, Kominek Verlag, 2024.
In Zusammenarbeit mit dem Museum für Naturkunde Berlin.
Samstag, 14. September 2024, 18.00 Uhr, eröffnet die Ausstellung Joan Fontcuberta: eHerbarium in der Galerie Kominek, Immanuelkirchstrasse 25, 10405 Berlin (14. September bis 26. Oktober 2024)