Das gelobte Land der Moderne

Der Ethnologe und Palästinakundler Gustaf Dalman (1855–1941) reiste bereits vor dem Ersten Weltkrieg in den Nahen Osten, um die alten Kulturlandschaften und das Alltagsleben der Bewohner zu dokumentieren, das zu dieser Zeit in der Wissenschaft kaum beachtet wurde. Er deckte damit zwei Themenbereiche - die wissenschaftliche Dokumentation und eine moderne Reisereportage gleichzeitig ab. Die Qualität seiner Fotografien ist gemäß seinem Motto „Zum Sehen bedarf man der Zeit und Ruhe“ also eine genaue Wahrnehmung der Orte und Ereignisse. Unterstützt wurde er dabei sicher durch die Verwendung des neu entwickelten Rollfilms der – anders als bei kunstvoll arrangierten Glasplatten-Bildern – lebendige Momentaufnahmen ermöglichte.

Ein Konvolut von 1.000 historischen Palästina-Fotografien wurde in Kooperation des Greifswalder Gustaf-Dalman-Instituts mit Forscher*innen aus Berlin und Graz restauriert und wieder für die Fotografie und wissenschaftliche Forschung zugänglich gemacht.

Die Fotografien von Gustaf Dalman sind mehr als Reisefotografien, denn in einem ganz modernen Sinne sind es Eindrücke und Beobachtungen aus dem Alltagsleben. (Straßenszenen, ein neugieriger Junge, Dalman als Reiter, im Dorf El-Hösn verschiedene Porträts - u.a. der Lehrer mit seinem Sohn, Lastkamele in Aleppo, palästinensische Frau an der Handmühle, Beduinen bestaunen einen Fotoapparat, Besuch des Beduinenzeltes, spielende Kinder, griechisch-orthodoxer Mönch im Katharinen Kloster, der Klatschreigen, die Felsen von Petra, Pilgermesse am Jordan, Bad im Toten Meer, der Strand von Jaffa, Pflügen mit dem Kamel, Orangenpflücker.) Alle Fotografien sind sachlich, stilvoll, immer auf Augenhöhe mit dem Gegenüber, sei es nun ein Mensch oder eine landestypische Pflanze. All das sind fotografische Bilder, die weder zu den biblischen Erzählungen noch zu den Märchen aus 1001 Nacht passen und von einer neuen wertfreien Sicht auf ein unbekanntes Land zeugen.

Das Buch „Das gelobte Land der Moderne” basiert auf dem historischen Fotografiearchiv des Gustaf-Dalman-Instituts und wurde von der Sammlungskustodin Dr. Karin Berkemann erstmals bildwissenschaftlich ausgewertet. Das Konvolut dokumentiert die Kulturlandschaft Palästina, wie sie so heute nicht mehr erlebbar ist mit den archäologischen, ethnologischen, naturkundlichen Motiven und dem Alltagsleben geben die Fotografien einen europaweit einmaligen Einblick in die dortige Alltagskultur vor dem Ersten Weltkrieg.

Über die eigenen Fotografien hinaus sammelte Dalman rund 18.000 fremde Fotografien einer Kulturlandschaft auf dem Sprung zur Moderne. Dieser europaweit einmalige Archivbestand wird von der Theologin und Kunsthistorikerin Karin Berkemann erstmals umfassend bildwissenschaftlich ausgewertet. Im zweiten Teil des Buches wird der Untertitel „Deutsche Reisefotografien zwischen Aleppo und Alexandria“ umgesetzt, indem den historischen Motiven Fotografien deutscher Reisender ab 1948, nach der Gründung des Staates Israel entgegengesetzt werden, die die Suche nach biblischen Motiven und den Zeichen einer neuen Zeit zeigen. Quer durch die Jahrzehnte fügen sich die Fotografien heute zur vielschichtigen Topografie einer Region, die drei Weltreligionen als heilig gilt. 

Reisebilder speichern Erinnerungen, stärken Gemeinschaften und wecken Interesse für andere Regionen. Das Buch von Karin Berkemann zeigt, wie wichtig es ist, dass auch Amateurfotografen ihre Archive zugänglich machen. Denn sie beinhalten wichtige Beiträge zu unserem visuellen Gedächtnis und der Entwicklung der Fotografie. (db)

 

Das gelobte Land der Moderne
Gustaf Dalman und weitere Fotograf*innen
Hrsg.: Karin Berkemann
Texte: Karin Berkemann
Deutsch
Buchgestaltung Festeinband
256 Seiten, 170 Abbildungen in Schwarz-Weiß und Farbe
Jovis Verlag, Berlin
ISBN 978-3-86859-603-8
35,00 €