Das Buch „Frames of Reference“ der Fotografin Lucinda Devlin (*1947) ist eine Werkmonografie, die es in Europa erstmalig möglich macht, Devlins Werkserien umfassend im gegenseitigen Vergleich zu betrachten. Es ist erkennbar, dass sie sich an Walker Evans mit ihrem kritischen Blick auf spezifische Phänomene der amerikanischen Kultur und deren Entwicklungen orientiert und es wird dezidiert deutlich, dass sie eine wichtige Vertreterin der „New-Color-Photography“ ist. Erkennbar in der Serie „Subterranea“ mit der besonderen Farbigkeit des künstlichen Lichts. Das Buch zeigt neun Themenserien, die verdeutlichen dass, ihr konsequentes Arbeiten in einem sachlichen sensiblen und doch präzisen Stil einen bemerkenswerten Beitrag zur künstlerischen Autorenfotografie geleistet hat.
Mit der Werkserie „The Omega Suites“ einer sachlichen emotionsfreien Darstellung der Exekutionsräume in US-Justizvollzugsanstalten wurde sie in den 1990er Jahren bekannt. Es ist die persönliche Auseinandersetzung der Fotografin mit den Hochsicherheitsgefängnissen, ob die Serie „The Omega Suites“ (1991–1998) ein Argument für oder gegen die Todesstrafe ist, muss der Betrachter selbst entscheiden. Die Fotografin beschreibt sehr authentisch (S. 131) ihre Wege durch die Gefängnisse zu den Hinrichtungsräumen.
Im krassen Gegensatz dazu steht die Werkserie „Pleasure Ground“ (1977–1990), die außergewöhnliche Themenzimmer in Hotels, Diskotheken oder Beautysalons - also Einrichtungen der Entspannung und des Vergnügens - zeigt. Diese sind in der gleichen sachlichen Motivgestaltung dargestellt wie die Operationssäle für Mensch und Tier, Therapieräume und Autopsiesäle, in der fotografischen Serie „Corporal Arenas“ (1982–1998). Die Auseinandersetzung Devlins variiert zwischen den Freuden des Menschen, der Kontrolle der körperlichen Existenz bis zu deren jähen Ende.
Seit etwa 20 Jahren erarbeitet sie auch Außenräume und Landschaften ohne die Menschen, die lediglich durch ihre Aktivitäten erkennbar sind. So entstand eine Serie den Landschaften am Lake Huron („Lake Pictures“ Naturstudien 2010-2019) in Michigan und an den amerikanischen Salzseen und Salzfeldern (Utah). Weitere im Buch gezeigte Serien sind „Water Rites“ (deutsche Kurbäder 1999–2002), „Subterranea“ (nutzbar gemachte Höhlen und Stollen seit 1980), „Habitats“ (zoologische Gehege und Aquarien seit 1985). Die Serie „Field Culture“ (ab 2007) hat einen starken Bezug zu den Agrarlandschaften (1970er Jahre) von Heinrich Riebesehl, allerdings ergänzt um Gewächshäuser und Versuchseinrichtungen einer industriellen Landwirtschaft.
Eine umfassende Ergänzung der Werkserien sind die informativen Textbeiträge von Gabriele Conrath-Scholl, „Räume zwischen Leben und Tod“ und die persönlichen Eindrücke Lucinda Devlins bei deren Erstellung. Claudia Schubert arbeitet in ihrem Beitrag „Raum und Natur – zwischen Funktion und Illusion“ den unterschiedlichen Charakter der Werkserien heraus, die sich einerseits mit den funktionalen Innenräumen und deren unterschiedlicher Ausgestaltung auseinandersetzen. Andererseits reflektiert Devlin Phänomene der Natur und die Verflechtung von Natur und Kultur, diese künstlerische Thematik ist in die Entwicklung und Probleme unserer Zeit eingebunden und fordert vom Betrachter aufmerksames Hinsehen und eine kritische Reflexion des eigenen Selbstverständnisses. Auch das Interview zwischen Lisa Le Feuvre und Lucinda Devlin zeigt weitere Aspekte der Werkserien von Lucinda Devlin und gibt interessante Einblicke in ihre Arbeitsweise und ihr mediales Verständnis von Fotografie.
Der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur (Köln) gebührt Anerkennung, dass sie die Werkgruppen der bedeutenden Fotografin Lucinda Devlin (*1947) nicht nur ausstellt, sondern auch mit einem solchen hochwertigen Buch würdigt, das die vielschichtigen Aspekte in ihrem Werk darstellt. Diese themenreiche Monografie wird zum Nachdenken über die Fotografie und ihre künstlerischen Möglichkeiten anregen. Aktive Fotograf *innen sind aufgefordert zum Diskurs über die Schaffung eigener Akzente, neuer stilistischer Wahrnehmungen und Perspektiven in einem digitalen Umfeld. Ein wichtiger Beitrag zum Diskurs über stilistische Entwicklungen in der zeitgenössischen Fotografie. (db)
Frames of Reference
Lucinda Devlin
Hrsg.: Susanne Breidenbach
Texte von Gabriele Conrath-Scholl, Lucinda Devlin und Claudia Schubert
Interview zwischen Lisa Le Feuvre und Lucinda Devlin
Deutsch, Englisch
Buchgestaltung Festeinband / Leineneinband
256 Seiten, 180 Abbildungen in Schwarz-Weiß und Farbe
Steidl Verlag, Göttingen
ISBN 978-3-96999-225-8
65.00 €