Die aktuellen Ausstellungen von Uwe Steinberg und Dirk Vogel setzen sich beide mit den Bürgern der ehemaligen DDR auseinander. Steinberg zeigt das Alltagsbild der Bürger*innen in Berlin (Ost, 1963-1983) und Vogel diese Bürger*innen an dem Orten Ihrer Stasihaft in Berlin-Hohenschönhausen. So entstehen für den Betrachter zwei gänzlich unterschiedliche Seiten des gleichen Staates. Beide Fotografen erschaffen Bildmotive von großer Dichte und Signifikanz, die eine allmählich verblassende Welt – die DDR der 1970-1980er Jahre – vor unseren Augen wiedererstehen lassen. Uwe Steinberg ist aufgrund seines frühen Todes (1983) nicht so bekannt wie Arno Fischer, Sibylle Bergemann, Christian Borchert, Manfred Hausmann, Helga Paris und Evelyn Richter und doch ein bedeutender Chronist mit eindrucksvollen Fotografien aus dem DDR-Alltag. So ist es anerkennenswert und wichtig, dass Klaus Honnef eine Einführung in die Werkgruppen von Uwe Steinberg geschrieben hat und diesen ihre Bedeutung zuerkennt.
Chronist der Zeit von 1963-83 zu sein, greift für Steinbergs Fotografien viel zu kurz. Die ästhetische Qualität der Fotografien – unvoreingenommene genaue Beobachtung, visuelle Interpretation und optimale Bildgestaltung ergeben Motive von großer Dichte und Aussagekraft. Diese Signifikanz lässt beim Betrachten eine scheinbar in Vergessenheit geratene Welt – die DDR – wieder lebendig werden. Ästhetik ist in diesem Zusammenhang kein Selbstzweck, sie erhöht für den Betrachter die Wahrnehmungsschärfe für die abgebildeten Orte und Ereignisse. Die Fotografien sind keine Alltagsdokumentation, sondern sie geben eine plastische und plausible Vorstellung der Gegebenheiten und Alltagsbedingungen (S.18, Warteschlange vor dem geschlossenen Geschäft „Feine Fleischwaren“)“ wie Steinberg und die Bevölkerung sie erlebt haben.
Steinberg war für die „Neue Berliner Illustrierte“ tätig, der Nachfolgerin der legendären „Berliner Illustrierten Zeitung“ (bis 1933), deren verfolgte Fotografen das Bild der Zeitschrift „Life“ mitprägten. Ein Motiv, das den essenziellen Kern seines ästhetischen Prinzips zeigt, ist „Gaswerk Dimitroffstraße“ (S. 107). Die Bewegung der beiden Arbeiter und der Anachronismus des Wassereimers zu der dunklen Rauchwolke, diese beiden Elemente - Diagonale und Bewegung – sind es, die den Betrachter in das Geschehen vor Ort einbeziehen. Ob fotografierte Kinder oder Erwachsene, immer wird man von genau beobachteter Situation und Empathie des Fotografen gefesselt. In den Gesichtern überlagern sich Lebenserfahrungen, die sich in Intensität und Ausstrahlung manifestieren. Ein markantes Beispiel dafür ist „Feierabendbier“ (S. 24) und „Verabschiedung“ (S. 117) solche ikonischen Bilder zeugen von tiefer menschlicher Zuneigung und Anteilnahme.
Steinbergs Arbeiten sind journalistische Fotografie auf höchstem Niveau, die nicht nur charakteristische Aspekte festhält, sondern diese systematisch erkundet und zu einem wohl fragmentarischen und in seinen Widersprüchen realistischen Gesamtbild zusammenfügt. Wie subtil seine Bildaussagen sind, deren Aussagekraft erst im Kopf des Betrachters entsteht, kann man auch daran erkennen, dass er keine Schwierigkeiten mit der Staatssicherheit hatte, da er doch den Alltag der Bevölkerung immer mit großer Präzision und Subtilität in ihrem sozialen Umfeld verankert „Wartende“ (S. 46) darstellte. Kein Dissident aber ein Fotograf mit einem unbestechlichen Blick.
Dem Lehmstedt-Verlag gebührt Anerkennung, dass er die Werkgruppen des bedeutenden Fotografen Uwe Steinberg (1942-1983) mit dieser ersten Monografie ehrt, die deutsche Stadt- und Alltags-Fotografie der letzten 60 Jahre in einen Zusammenhang stellt. Norbert Bunge hat Steinbergs Werkserien umfassend gesammelt und aufgearbeitet und ist Leihgeber für Buch und Ausstellung. Diese themenreiche Retrospektive wird zum Nachdenken über die Autorenfotografie und ihre künstlerischen Möglichkeiten anregen. Aktive Fotograf *innen sind aufgefordert zum Diskurs über die Möglichkeiten und stilistischen Varianten journalistischer Fotografie. Das Buch zeigt ein weiteres Mal, dass künstlerische Fotografie neue Perspektiven schafft und einen kulturellen Austausch ermöglicht, der auch historische und gesellschaftliche Zusammenhänge sichtbar macht. (db)
Berlin
Uwe Steinberg
Hrsg.: Norbert Bunge und Norbert Moos
Einführung in die Werkgruppen Klaus Honnef
Deutsch
Buchgestaltung Festeinband mit Schutzumschlag
128 Seiten, 100 Abbildungen in Schwarz-Weiß
Lehmstedt Verlag, Leipzig
ISBN 978-3-95797-156-2
25,00 €