Eine Archäologie der jüngeren Geschichte Myanmars
Urbanisierung, gesellschaftliche Umbrüche, politische Gewalt, aber auch seine persönliche Stellung in der Welt sind die Themen der Projekte, die der Photograph Wolfgang Bellwinkel (*1959) realisiert und international ausstellt. Dabei kooperiert er häufig mit dem Goethe-Institut. In „Vast Land“ erzählt er von Myanmar, einem Land, in dem sich seit der kolonialen Unterdrückung bis zum Ausnahmezustand der Gegenwart eine Tragödie an die nächste reiht: Weltkrieg, Bürgerkriege, Naturkatastrophen, Militärdiktatur, ethnische Konflikte und Vertreibung.
In seiner Einführung in den Bildband stellt Franz Xaver Augustin, von 2014 bis 2019 Leiter des Goethe-Instituts von Myanmar, fest, dass „die letzten beiden Jahrhunderte es mit Myanmar nicht wirklich gut meinten“. Das ehemalige Birma ist seit 1948 ein unabhängiger Staat, der praktisch seit 1962 unter einer Militärherrschaft steht. Das Land wurde zwischen dem Jahr 849 und der Gegenwart von nicht weniger als 22 Hauptstädten aus regiert. Insgesamt gab es sogar 39 Wechsel der Regierungssitze.
Mit dem bei Hartmann-Books, Stuttgart, erschienenen Buch „Vast Land“ stellt Wolfgang Bellwinkel, der auch als Lehrbeauftragter an Hochschulen in Deutschland und Asien arbeitet, eine photographische Studie über Myanmar am Beispiel der letzten Hauptstädte vor: Mandalay (1857-1885), Yangon (1885-2005) und Naypyitaw (seit 2005). Alle wurden auf dem Reißbrett geplant und sind jeweils vom Machtanspruch und Selbstverständnis derjenigen gekennzeichnet, die sie errichteten: Mandalay, die ehemalige Stadt der Könige, Yangon, die „Perle des britischen Empire“, und Naypyitaw, die paranoide Version derjenigen, die heute in dem Land herrschen.
Anhand dieser drei Städte erzählt der Photograph mit der ihm eigenen Distanziertheit von den einzigartigen Stadtlandschaften. Im Gegensatz zur Dramatik und Dichte der Ereignisse sind Bellwinkels Bilder eher nüchterne, präzise Photographien, mit denen er, mehrfach ergänzt durch kurze Statements, den Charakter und die verschiedenen Zeitschichten der drei Städte freilegt, jeweils mit ernsthafter Zuwendung sowie behutsamem Gespür und fairem Interesse an deren Besonderheiten.
Neben den Photographien gibt der 20-seitige Essay des Soziologen Heinz Schütte einen vertiefenden Einblick in die Geschichte und Gegenwart der drei vorgestellten Hauptstädte Myanmars: „Es sind urbane Figuren, in denen sich geschichtliche Epochen des Umbruchs und die von ihnen geprägten politisch-wirtschaftlichen Regime des 19., 20. und 21. Jahrhunderts darstellen“.
Mit einem variablen Blick auf die Unterschiede der beiden ehemaligen und der heutigen Hauptstadt gibt der Band eine Archäologie der jüngeren Geschichte des südostasiatischen Landes Myanmar. (vZ)
Wolfgang Bellwinkel (DGPh)
Vast Land
Beiträge: Franz Xaver Augustin, Heinz Schütte
Text: Deutsch, Englisch
144 Seiten mit 56 Abbildungen
Format: 24×31,5 cm
Stuttgart, Hartmann-Books
ISBN: 978-3-96070-092-0
32,00 €