Es ist interessant, wie manche Klischees immer wiederkehren, so »Den Rang der Fotografie als Kunst bestätigt die Potsdamer Ausstellung [Fotografie und Impressionismus] aufs Schönste.« (Der Tagesspiegel, 11. Februar 2022). Hat doch die Generation der Dokumentarfotografie und der Autorenfotograf*innen gelernt und verinnerlicht, dass der Piktorialismus eine Nachahmung der Malerei und keine „künstlerische Photographie“ ist. Der Piktorialismus setzt in der Auseinandersetzung mit der Malerei neue Techniken [z.B. Heliogravüre, Gummidruck] und ästhetischen Überlegungen zur Fotografie ein.
Geht man aber davon aus, dass „impressionistische Malerei“ mit dem Amalfi Skizzenbuch von Carl Blechen beginnt, dann gibt es ab der Mitte des 19. Jhs. durchaus Überschneidungen und gegenseitige Inspiration zwischen Malerei und Fotografie. Die Kritik am Piktorialismus besteht ja gerade darin, dass er teils motivisch aber vor allen in der Bildgestaltung keine autonome Kunstform darstellt anders die auf ihn folgende ‚Neue Sachlichkeit‘, die in Motivwahl und Technik sich auf das „Lichtbild“ (Photographie) bezieht.
So nimmt die Fotografie speziell in Italien zuerst die Stelle der Malerei ein, indem sie die gleichen Motive wie die Maler, Landschaften, Genre- und Straßen-Szenen zeigt. Bis 1914 ist es eine gegenseitige Einflussnahme und Adaption. Auch in der Fotografie tauchen die Bildmotive „Wald von Fontainebleau, die Steilküste von Étretat oder die moderne Metropole Paris“ auf. Alfred Lichtwark hat dieses Verhältnis immer wieder analysiert und bewertet. Malerei wie Fotografie experimentieren in den Jahren von 1860-1910 mit Komposition und Perspektive, den Lichtsituationen von Tages- und Jahreszeiten und dem Einfluss der Wettersituation. Beide erheben damit einen neuen - anderen künstlerischen Anspruch, der für die Fotografie ab 1922 zur autonomen Kunstform führt. „Plain air Malerei“ und Impressionismus sind Wahrnehmungsformen, die von der Malerei ausgehen und durch die technische Entwicklung – Trockenplatte und Rollfilm auch in der Photographie möglich werden. Diese Wechselwirkung wird im Buch wissenschaftlich aber auch sehr einleuchtend in Text und Bild dargelegt. Es ist das komplexe Verhältnis zur impressionistischen Malerei, das die Photographie ab 1850 von der Studio- zu einer Freiluft und spontanen Bildfindung führt. Diese Entwicklung und gegenseitige Anregungen in der Bildgestaltung werden an den 150 Motiven von ca. 70 Photographen u.a. Gustave Le Gray, Louise Deglane, Alfred Stieglitz und Heinrich Kühn dargestellt.
Eine weitere Annäherung ergibt sich als die Fotografie etwa ab 1900 farbig wird. Das hier zunächst verwendete 3 Platten Rasterverfahren erzeugt grob gerasterte Abbildungen deren Wahrnehmung einem Gemälde der Pointilisten wie Seurat, Sisley, Signac Pissarro vergleichbar ist. Hier ist einer der herausragenden Vertreter Heinrich Kühn. Während die Maler durch Tubenfarben unabhängig geworden sind, haben Fotografen diese Unabhängigkeit erst durch die Trockenplatte und die Entwicklung des 6x6 Rollfilms durch George Eastman (1884). Wie Ulrich Pohlmann ausführt ist der beiläufige Blick z.B. ein „Waldpfad im Gegenlicht“ das Alltagsmotiv das Malerei und Photographie in dieser Phase gemeinsam haben wie auch die Ablehnung durch das Kunstpublikum, welches das Alltägliche als nicht kunstwürdig einstuft. Das Buch dokumentiert eine neue künstlerische Wahrnehmung der Landschaft und Natur. In beiden Medien entsteht eine neue Bildsprache mit einem bis heute aktuellen Themenkanon, der weiter inspirierend ist.
Eine gelungene Publikation, die schön gestaltet ist. Diese themenreiche Darstellung der Wechselbeziehung beider Medien wird zum Nachdenken über die Fotografie und ihre künstlerischen Möglichkeiten anregen. Der kunstinteressierte Betrachter wie auch Maler*innen und Fotograf*innen erleben die Zeit von 1860 bis 1910 aus ganz neuen Blickwinkeln und erkennen neue Aspekte zu der Frage was ist „künstlerisch?“ (db)
Eine neue Kunst. Photographie und Impressionismus
Fotografien: u.a. Gustave Le Gray, Louise Deglane, Alfred Stieglitz und Heinrich Kühn
Hrsg.: Ortrud Westheider, Michael Philipp, Daniel Zamani
Texte: Ulrich Pohlmann, Dominique de Font-Réaulx, Bernd Stiegler, Matthias Krüger, Monika Faber, Esther Ruelfs, Miriam Leimer, Christine Rottmeier-Keß
Deutsch
Buchgestaltung Hardcover mit Schutzumschlag
280 Seiten, 180 Abbildungen in Schwarz-Weiß und Farbe
Prestel Verlag, München
ISBN 978-3-7913-7939-5
42,00 €