Die Straße als facettenreiches Sujet
Die Straße war schon immer ein Ort des Zeigens, des Präsentierens, auch der Selbstinszenierung und der Kommunikation, des Widerstands oder des Protests. Mit dem hochaktuellen Thema „Straße“ setzen sich Künstlerinnen und Künstler verschiedener Fachrichtungen auseinander, denn die Straße ist ganz einfach ein Symbol für Fortschritt und Mobilität.
„Mit der Industrialisierung und Urbanisierung rückte die Straße um 1900 als elementarer Bestandteil des Lebens in den Fokus. Auf den Straßen der modernen Städte und Metropolen vollzogen sich wesentliche gesellschaftliche Entwicklungen und Prozesse“ stellt René Zechlin, der Direktor des Wilhelm-Hack-Museums, Ludwigshafen, in seiner Einführung in den im Hirmer Verlag, München erschienenen Katalogband „Street Life“, Untertitel „Die Straße in der Kunst von Kirchner bis Streuli“, fest. Mit „Walking the Street“ macht die Kuratorin Astrid Ihle anschließend „einen Spaziergang durch die Straße in der Kunst der Moderne bis heute“.
Der Band ist eingeteilt in insgesamt sechs umfassend bebilderte Kapitel. Wie sich „Die Straße als Spiegel der modernen Gesellschaft“, wie sich das gesellschaftliche Leben mit der Industrialisierung zunehmend auf die Städte konzentrierte, beschreibt Astrid Ihle, während Elisabeth Bohnet unter dem Titel „En passant“ die Unmittelbarkeit in Straßenszenen der klassischen Moderne lobt. David Campany weiß, dass die Verbreitung der Photographie es den Künstlerinnen und Künstlern ab den 1920er Jahren ermöglichte, spontane Entdeckungen, Wahrnehmungen und Beobachtungen unmittelbar festzuhalten. Dass die Kunst in den Jahren der Studentenproteste ‚auf die Straße‘ ging, stellt Mechthild Widrich in ihrer Untersuchung über die Aktionskunst im öffentlichen Raum fest. Mit der Entwicklung von Graffiti in den Städten beschäftigt sich Julian Stallabrass, während Stefan Gronert (DGPh) belegt, dass vor allem in der amerikanischen Photographie, aber auch in der Pop-Art der 1960er und 1970er Jahre auf die Darstellung des Menschen in Straßenszenen fast vollständig verzichtet wurde. Unter dem Titel „Die Straße als Habitat“ beschreibt Anne Bossok, dass die Straße für viele künstlerische Bewegungen auch Schauplatz demokratischer Meinungsäußerung ist und fordert Kathrin Rottmann unter dem Titel „Wem gehört die Straße?“, dass diese vor allem in dicht besiedelten Städten nicht nur zur Fortbewegung mit dem Automobil sondern zum Wohle aller genutzt werden sollte.
Die Texte werden jeweils durch Arbeiten von Künstlern, beispielsweise Max Beckmann, Josef Beuys, Christo, Max Ernst, Ernst Ludwig Kirchner, Yves Klein, Ludwig Meidner, Jeff Wall oder Peter Weibel sowie Photographen und Photographinnen, wie Eugène Atget, Brassai, Sophie Calle, André Kertész, Helen Levitt, Lászlo Moholy-Nagy, Michael Ruetz, Friedrich Seidenstücker, Stephen Shore, Beat Streuli, Thomas Struth, Otto Umbehr oder Jeff Wall begleitet.
Das Buch „Street Life“ zeigt, wie vielschichtig die Bedeutung die Straße als menschliches Lebensumfeld für die Ökologie und die Nachhaltigkeit ist. Sie ist zudem Ort der Repräsentation, der Selbstinszenierung und der Kommunikation, des Widerstands oder des Protests. Der reich bebilderte Katalogband belegt die unterschiedlichen Strategien der künstlerischen Auseinandersetzung mit der Straße und zeigt die ganze Bandbreite des hochaktuellen Themas und seiner Umsetzung in Malerei, Grafik, Photographie, Film, Performance und Installation des 20. und 21. Jahrhunderts. (vZ)
Ausstellung noch bis 5. März 2023 im Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen
Street Life
Hrsg.: Astrid Ihle, René Zechlin
Texte: Deutsch, Englisch
288 Seiten mit 250 Abbildungen
Format: 24 x 29 cm, Hardcover
Hirmer Verlag, München
ISBN 978-3-7774-3697-5
49,90 €