Eine echte Neuentdeckung: Ruth Bernhard. Fotografien 1930 - 1976
Leben und Werk der 1905 in Berlin geborenen, Mitte der 1920er Jahre zusammen mit ihrem Vater nach Amerika ausgewanderten und 2006 im sagenhaften Alter von 101 Jahren in San Francisco gestorbenen Ruth Bernhard sind mit der Geschichte der bedeutendsten Photographen Nordamerikas verbunden, vor allem mit ihrem lebenslangen Freund und Lehrer Edward Weston.
Der Berliner Galerie Albrecht ist es zu verdanken, dass das Werk von Ruth Bernhard nun in einer Ausstellung zu entdecken war. Der dazu im Verlag Wasmuth & Zohlen erschienene Katalogband ist die erste Publikation überhaupt, die mit 37 Photographien einen Querschnitt durch ihr mehr als vier Jahrzehnte umfassendes Schaffen zeigt.
Mit einem raffiniert ausgeklügelten Einsatz von Licht verlieh Ruth Bernhard den Modellen und Gegenständen Tiefe. Berühmt wurde sie vor allem durch die Art und Inszenierung ihrer Akte: Sie war eine der ersten Frauen, die den weiblichen Körper vom männlichen Blick emanzipierte. Geradezu revolutionär sind die beiden 1962 entstandenen Aufnahmen »In the Box Vertical« und »In the Box Horizontal«: der Akt im Pappkarton, einmal im Querformat, einmal im Hochformat.
„Auch wenn Ruth Bernhard in ihrer rund vier Jahrzehnte währenden kreativen Beschäftigung mit der Photographie viele Themenbereiche ebenso ideenreich erprobt wie sensibel bewältigt hat, wird sie insbesondere mit dem weiblichen Akt konnotiert. Stillleben im Geist der Neuen Sachlichkeit hat sie aufgenommen, im Auftrag Mode photographiert, Kinder- und Tierporträts geschaffen, Muscheln oder Schnecken für die Kamera gesammelt, Blätter und Blüten in Schwarzweiß erkundet, Gürtelschließen als Sujet entdeckt, vor allem Teile von Spielzeugpuppen auf bisweilen surreale Art und Weise arrangiert,“ stellt Hans-Michael Koetzle (DGPh), Publizist und Kurator für Photographie, unter der Überschrift „Ruth Bernhard und ihr Beitrag zur photographischen Moderne“ in seiner Einführung fest.
In den 1970er Jahren stieß der Engländer Michael Kenna zu Ruth Bernhard, als diese auf der Suche nach jemandem war, der ihr bei der Produktion ihrer Abzüge helfen könne. Unter dem Titel „Das Unsichtbare photographieren“ beschreibt Kenna die folgende, über 10 Jahre währende Zusammenarbeit: „Meine Fähigkeiten wurden sofort und stark infrage gestellt. Ich sollte herausfinden, dass Ruth das unbearbeitete Negativ als das Äquivalent von unbearbeitetem Ton betrachtete, das modelliert und erst gefertigt werden, geglättet werden konnte und sollte, mit dem man spielen sollte, bevor es gestreichelt und an ihm gefeilt wurde, bis es zur emotionalen Erfahrung wurde.“ Die Arbeit im Labor hat Kenna wohl zur vollsten Zufriedenheit der Photographin erledigt.
Eine Ausstellung und ein Katalogbuch, die mit beispielhaften Bildern und aufschlussreichen Texten die Arbeit von Ruth Bernhard endlich auch in Deutschland bekannt machen. (vZ)
Ruth Bernhard
Fotografien – Photographies 1930–1976
Hrsg.: Galerie Albrecht, Susanne Albrecht
Beiträge: Hans-Michael Koetzle (DGPh), Michael Kenna
Texte: Deutsch / Englisch
96 Seiten mit 37 Abbildungen im Duplexdruck
Format: 22×28 cm, Broschur mit amerikanischem Schutzumschlag
Berlin, Wasmuth & Zohlen Verlag
ISBN: 978-3-8030-3415-1
34,00 €