Die Edition Braus hat der Zeitungsmetropole Berlin einen eindrucksvollen Bildband gewidmet. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand in der südlichen Friedrichstadt, an der Grenze der heutigen Stadtteile Kreuzberg und Mitte, das Berliner Zeitungsviertel mit den drei großen Verlagshäusern Ullstein, Mosse und Scherl, um die sich viele weitere Verlage, Redaktionen und Druckereien ansiedelten.
Die 1920er Jahre wurden der Höhepunkt der Berliner Zeitungsgeschichte mit 1929 fast 150 Zeitungen. Das Haus Ullstein entwickelte sich zum zweitgrößten Zeitungshaus der Welt mit der auflagenstarken Berliner Morgenpost, der B.Z. am Mittag, ergänzt um die legendäre Vossische Zeitung für das liberale Bürgertum und die erfolgreichen, reich bebilderten Zeitschriften Berliner Illustrirte Zeitung (BIZ), Uhu, Die Dame, Querschnitt und Die Grüne Post. Bei Mosse erschien das Berliner Tageblatt, ebenfalls eine der angesehensten und auflagenstärksten Zeitungen Deutschlands. Das 1921-1923 von den Architekten Erich Mendelsohn und Richard Neutra umgebaute Mossehaus galt als eine der Ikonen der Neuen Sachlichkeit. Der Scherl-Verlag war bereits 1916 von dem Großunternehmer Alfred Hugenberg erworben und zu einem nationalkonservativen Presseimperium ausgebaut worden. Sein Medienkonzern trug mit antidemokratischer Propaganda maßgeblich zur Zerstörung der Weimarer Republik bei.
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 fand eine große Zäsur statt. Jüdische Redakteure mussten die Redaktionen verlassen, viele kritische Journalisten, wie der Herausgeber der Weltbühne Carl von Ossietzky, wurden verhaftet und in Konzentrationslagern schwer misshandelt. Sozialdemokratische und kommunistische Zeitungen wurden verboten, die anderen zensiert oder eingestellt. Die jüdische Verlegerfamilie Ullstein wurde 1934 enteignet und sie musste wie viele andere ins Exil fliehen, um ihr Leben zu retten. 1937 wurde der Ullstein-Verlag in Deutscher Verlag umbenannt und dem Zentralverlag der NSDAP angegliedert. Am Ende des Zweiten Weltkrieges war das Berliner Zeitungsviertel fast vollständig zerstört.
Die erste Lizenz der Besatzungsmächte erhielt bereits im Mai 1945 im sowjetischen Sektor die Berliner Zeitung. Im September 1945 erschien dann mit einer amerikanischen Lizenz der Tagesspiegel. Der Hamburger Verleger Axel Springer erwarb 1959 von der Familie Ullstein, die 1952 ihr 1934 enteignetes Unternehmen zurückerhalten hatte, die Aktienmehrheit des Ullstein-Verlages und wurde damit zum größten Verleger der Stadt.
Die Fotos des Bildbandes zeigen die Berliner Zeitungsgeschichte von der Kaiserzeit bis zum Mauerfall 1990. Wir sehen die Anlieferung der Papierrollen, die Arbeit in den Redaktionen, die Herstellungsprozesse in den Produktionshallen, die verschiedenen Vertriebswege und Menschen, die in allen erdenklichen Situationen und an jeder Ecke Zeitungen lesen, wie wir es heute im Online-Zeitalter kaum noch kennen. Auch viele politische Ereignisse, wie die Barrikaden der Spartakisten im Zeitungsviertel während der Revolution 1919, Propagandaaktionen der Nazis in den 30er Jahren, die Einweihung des neuen Axel Springer Verlagshauses 1966 direkt an der Berliner Mauer durch Präsident Lübke und den Berliner Regierenden Bürgermeister Willy Brandt, ausgebrannte Lieferfahrzeuge der BILD-Zeitung nach dem Anschlag auf Rudi Dutschke 1968 und Ostberliner, die nach dem Mauerfall Sonderausgaben Westberliner Zeitungen entgegennehmen.
Die Aufnahmen stammen von vielen renommierten Pressefotografen, darunter Willy Römer, Friedrich Seidenstücker, Liselotte Orgel-Köhne, Hanns Hubmann, Will McBride, Bernard Larsson, Max Ittenbach, Konrad Hoffmeister, Manfred Uhlenhut und Günter Zint. Alle Fotografien, darunter eine große Zahl von wenig bekannten, hat die renommierte zeitgeschichtliche bpk-Bildagentur aus ihrem umfangreichen Fundus beigetragen.
Der Berliner Journalist Oliver Ohmann ergänzt die Fotoauswahl mit einem sehr kompetenten Text zur 400jährigen spannenden Zeitungsgeschichte der Stadt Berlin. (HF)
UNTER DRUCK – Die Zeitungsstadt Berlin in historischen Fotografien
Hrsg.: Oliver Ohmann
In Zusammenarbeit mit der bpk-Bildagentur
Deutsch
124 Seiten mit 152 Abbildungen
Format: 24 x 21 cm, Hardcover
Edition Braus, Berlin 2021
ISBN 978-3-86228-219-7
24,95 €