Das Buch »Welt im Umbruch - Von Otto Dix bis August Sander – Kunst der 20er Jahre« ist von besonderer Aktualität, da es eine Entwicklung in der Kunst nachzeichnet die z.Z. intensiv diskutiert wird. Es geht um die Wechselwirkung von Malerei und Photographie und den Dialog über die Stilrichtungen `Neues Sehen - Neue Sachlichkeit´ Der malerischen Unschärfe in Impressionismus, Symbolismus und Piktorialismus wird ab 1921 eine sachliche und realistisch-veristische Sicht auf die Dinge entgegengesetzt, die kühl distanziert und ohne Emotionen ist. Es ist der direkte Gegenpol zu dem Piktorialismus der Vorkriegszeit und dem Pathos des Expressionismus indem jetzt die Banalität des Alltags, das Antlitz und die Abgründe der Großstadt oder des Krieges (Otto Dix) Objekt künstlerischer Gestaltung werden. Dieses Wesen des Gegenstandes kann in der photographischen Auseinandersetzung in der Genauigkeit und Objektivität (Albert Renger-Patzsch) und in einer experimentellen Interpretation (z.B. Florence Henri) des Objektes bestehen.
In den 1920er Jahren befanden sich Photographie und Malerei in einer Neuorientierung hin zu einem unbedingten Realismus, Oberflächenstrukturen, Detailgenauigkeit und objektiver Darstellung der Objekte und Personen. In diesem Buch wird der inspirierende und fruchtbare Dialog der künstlerischen und medialen Innovationen zwischen Malerei und Photographie in sieben Kapitel nachgezeichnet: „Die Dinge/Stillleben, Selbstbildnisse (Vergewisserung Maskerade), Akt, Entortungen (Architektur/Stadtansicht), Maschinenkunst und Technikkult, Individualporträt und Typenbildnis und politische Collagen.
Diese Stilrichtung der klassischen Moderne hat eine exemplarisch neue Sichtweise und Darstellung der Welt ohne Beschönigung, eben die objektive Realität der Zeit (Dix Kriegssituationen, Renger-Patzsch Ruhrgebiet) initiiert. Die Fragmentierung und Isolierung des Gegenstands, oder die Wahl von Nah-, Auf- und Schrägsichten, Eigenschaften die in der BAUHAUS/Photographie entwickelt wurden, werden in der Architektur bei Werner Mantz und Albert Renger-Patzsch besonders deutlich. Die Ästhetisierung des Alltäglichen der städtischen und industriellen Umwelt wurde damals von Walter Benjamin („Affirmation der bestehenden Ordnung im Kapitalismus“) und auch heute in der zeitgenössischen Photographie der Becher Schüler in Frage gestellt. Die Becher Schüler neigen zu einer subjektiven malerischen Unschärfe, die eine Nähe zur Kunst des Impressionismus und Symbolismus hat.
Ein sehr empfehlenswertes Buch als Dokument der Kulturgeschichte der Malerei und Photographie der 1920er Jahre aber auch für die Entwicklung der klassischen Moderne mit ihren stilistischen Impulsen für die zeitgenössische Photographie. Nach dem Lesen des Buches denkt man unwillkürlich an das Statement „Bei diesen Bildern springt einem die Kunstabsicht nicht penetrant ins Auge, der Wille zum Künstlichen. Vielmehr die vollendete Beherrschung von Technik und Bildsprache. “ aus Klaus Honnefs Essay `Die Zukunft der Photographie als Medium´ Mit diesem Buch und den vorgestellten Photographien und der Malerei wird der Anspruch, dass Kunst neue Perspektiven schafft und einen kulturellen Austausch ermöglicht, eindrucksvoll umgesetzt. (db)
Ausstellung bis 2. Mai 2021 Fotomuseum im Münchner Stadtmuseum, (München)
Welt im Umbruch - Von Otto Dix bis August Sander
Werke von Künstler*innen u.a. Aenne Biermann, Erwin Blumenfeld, Otto Dix, Hugo Erfurth, Carl Grossberg, George Grosz, Florence Henri, Hannah Höch, Karl Hubbuch, Germaine Krull, El Lissitzky, László Moholy-Nagy, Werner Mantz, Albert Renger-Patzsch, Walter Peterhans, Max Radler, August Sander, Georg Scholz, Sasha Stone, Umbo..
Hrsg.: Kathrin Baumstark, Andreas Hoffmann, Franz Wilhelm Kaiser, Ulrich Pohlmann
Texte von Kathrin Baumstark, Simone Förster, Miriam Halwani, Ulrich Pohlmann, Esther Ruelfs, Bernd Stiegler und Katharina Sykora
Deutsch
Buchgestaltung Festeinband, Duotondruck
264 Seiten mit zahlreichen SW- und Farbabbildungen
Hirmer Verlag, München
ISBN-Nr. 978-3-7774-3227-4
39,90 €