Das Meer als Landschaft scheint der Ort auf der Erde zu sein, der sich gar nicht verändert, weil er stets in Veränderung ist „Panta rhei“ (gr. πάντα ῥεῖ, „alles fließt“), dem griechischen Philosophen Heraklit zugeschriebenes Zitat. So hat das Meer den Menschen stets angeregt von Odysseus bis Saint Exupéry seine Existenz zu hinterfragen und sich neuen Horizonten zuzuwenden. Dabei hat sich unser Blick auf das Meer als realer Ort, Metapher und Imagination und die künstlerischen Positionen dazu stets gewandelt. Tradiert ist die Vorstellung von Freiheit Ferne Abenteurer mit den Meeren der Erde. Heute sehen wir es aber auch im Zusammenhang mit Umweltzerstörung, Migrationsströmen und Klimawandel. Ob Abenteuer oder Idyll künstlerische Positionen haben stets die Wahrnehmung und Deutung des Meeres mit Fakten und Fiktionen analysiert. Dieses Buch zeigt Medien übergreifende künstlerische Zugänge zu dem Thema Meer wie Photographie, Videokunst, Skulptur und Installation. Wie die Alfred Ehrhardt Stiftung wird sich auch die Rezension auf die Photographie konzentrieren.
Wer hier Edward Weston, Bernard Descamps, Detlef Orlopp oder Franz Schensky erwartet, wird sich verwundert die Augen reiben. In den vergangenen Jahren gab es sehr unterschiedliche photographische Blicke auf das Thema Meer. Im Buch werden u.a. folgende Positionen vorgestellt. Nasan Tur Motiv Sea View (2016) ist ein manipuliertes Pressebild, dass die Aussage vom Flüchtlingsdrama zur Idylle verändert. Le Belvédère Tanger (2001) von Yto Barrada scheint den tradiert kontemplativen Blick über das Meer widerzugeben, beinhaltet aber auch das Warten auf Freiheit, Arbeit, und Wohlstand hinter dem Horizont. Moritz Hirsch, Christine de la Garenne und Julius von Bismarck gehen in ihren Arbeiten ebenfalls von diesem Ausgangspunkt aus und lösen die Grenzen des Landschaftsbildes auf.
Lia Darjes geht in ihrer Photographie „Billboard mit Aussicht“ (2014) über die Grenzen der Dokumentarphotographie hinaus und schärft den Blick des Betrachters für den Horizont und gibt ihm Raum für eigene Erinnerungsbilder. Yvon Chabrowski verweist mit SEA pieces I-IV (2014-15) auf die Arbeiten von Bernard Descamps und Detlef Orlopp. Laurence Bonvins zeigt in der Serie „Post Töhoku“ (2015/2020) die Veränderungen auf Grund des Tsunamis 2011 in Japan.
Ein empfehlenswertes Buch als Dokument der Kulturgeschichte des Meeres aber auch für die Entwicklung der künstlerischen Landschafts-Photographie. Das interessante Buch ist in Kooperation mit dem Museum Kunst der Westküste (Föhr) entstanden, schön gestaltetet und lädt den Betrachter ein, Positionen aktueller Photographie kennenzulernen. Die Bildlegenden und ausführlichen Informationstexten zu den gezeigten Werken ergänzen den visuellen Eindruck.
Ausstellung bis 25.04.21 in der Alfred Ehrhardt Stiftung (Berlin)
S E E S T Ü C K E – Fakten und Fiktion
Photographien von Jessica Backhaus (D/USA), Yto Barrada (F/MA), Laurence Bonvin (CH), Julius von Bismarck (D), Astrid Busch (D), Yvon Chabrowski (D), Lia Darjes (D), Sven Drühl (D), Moritz Hirsch (D), Inka & Niclas (S), Tobias Kappel (D), Jochen Lempert (D), Charles Pétillon (F), Sheila Rock (USA), Miguel Rothschild (RA), Nasan Tur (D), Sascha Weidner (D) und Rebecca Wilton (D)
Skulpturen von Angelika Arendt (D), Eva Grubinger (A)
Videos von Simon Faithfull (UK), Christine de la Garenne (D), Christian Niccoli (I)
Hrsg.: Ulrike Wolff-Thomsen und Christiane Stahl
Vorwort: Ulrike Wolff-Thomsen und Christiane Stahl
Texte von Harald F. Theiss
Deutsch, Englisch
Buchgestaltung Klappenbroschur
96 Seiten, 39 Farb- und 6 S/W-Abbildungen
Michael Imhof Verlag, Petersberg
ISBN 978-3-7319-0947-7
19,95 €