Der Katalog »Syrien – Fragmente einer Reise, Fragmente einer Zeit« ist in zweierlei Hinsicht eine außergewöhnliche Publikation, denn er stellt ein besonderes photographisches Konvolut und eine 2000-jährige Kulturregion vor, die wir aktuell fast nur als Kriegsregion kennen. Das heutige Staatsgebiet war bis 1918 Teil des Osmanischen Reiches, das sich Frankreich „Syrien“ und Großbritannien „Palästina“ als Mandatsgebiete 1921 aneigneten. Erst im April 1946 selbständig geworden gehörte es 1958-61 zur Vereinigten Arabischen Republik (Motiv des Straßenhändlers) und dann ab Mai 1963 kam die Assad-Herrschaft.
Die Region verbindet Christentum, Judentum und heute auch den Islam, die Umayyaden-Moschee steht über dem Grab des Propheten Johannes aber auch die Schriftzeichen, die arabischen Zahlen und die Entwicklung und Pflege einer reichen Stadtkultur mit Europa. Die Photographien sind ein Appell die Kulturregion mit der historische Bedeutung Syriens für die kulturellen Wurzeln und die Identität Europas zu bewahren.
Die Werkserie beginnt mit den geschichts- und religiösen Architekturdenkmälern in Damaskus. Der Umayyaden-Moschee, dem Grab des Propheten Johannes, der Süleymans Moschee, das Derwisch-Kloster, der Sabbatbogen im jüdischen Viertel. Hama mit den römischen Wasserschöpfrädern (Noiras) dem Viadukt am Orontes und Aleppo, mit dem römischen Festungsberg seit 1070 Zitadelle (Saif al-Daula) dem berühmten Suq, der Umayyaden Moschee, der St. Elias Kathedrale, dem Mausoleum des Osman ibn-Ahmad. Aber Yvonne von Schweinitz hielt auch die Wüstenoase c (Palmyra, vom 1. Jhdt. v.Chr. bis 2. Jhdt. n.Chr. römisch mit dem Tempel des Baal und dem Hadrianstor) die Kreuzritterburg „Krak des Chevaliers“ (1142-1270 Zentrum des Johanniter Orden), und damit Baukunst in Photographischer und archäologischer Qualität fest, die heute unser kulturelles Erbe dokumentiert. Das gleiche gilt auch für das an der nördlichen türkischen Grenze gelegene früh byzantinische ‚Simeonskloster‘ (Qual´at Sim´an). Der Säulenheilige „Simeon (-459)“ lebte in dem achteckigen Hauptraum, in dem die Säule stand. (Wallfahrtszentrum)
Yvonne von Schweinitz (1921-2015) hat in kongenialer Weise, diese vielseitigen Aspekte in ihren SW-Photographien festgehalten, und weit über eine Reportage hinaus Bilddokumente mit künstlerischem und wissenschaftlichem Wert geschaffen. Sie hat persönliche Landschafts-/Architektur-Impressionen in eine künstlerische Sichtweise des Landes umgesetzt und erinnert damit an „Hellas“ die Griechenland Photographien von Herbert List.
Von bemerkenswerter Intensität sind auch ihre Portraits der unterschiedlichen ethnischen Gruppen im Land. Im Motiv des Straßenhändlers sind Zeitgeschichte (Bild des Abdel Nasser) Orient (Händler mit „Kufiya“ Palästinenser Tuch) und Okzident (Mann im Anzug) vereint. Reisende im Kofferraum eines Straßenkreuzers, der Beduine mit der „Agal,“ Wasserträgerinnen zeugen von einem wachen, respektvollen und empathischen Blick mit einem Quantum Humor.
Ein sehr empfehlenswertes Buch als Dokument der Kulturgeschichte des Nahen Ostens aber auch für die Entwicklung der klassischen Reisephotographie und ihren stilistischen Impulsen für die journalistische Photographie. Ein für zeitgeschichtlich interessierte Leser, Kunstwissenschaftler und Photographen gleichermaßen interessantes Buch, das den Betrachter von der heutigen Kriegssituation eine Brücke zu einer bedeutenden Kulturregion schlagen lässt. Die kritische Reflexion einer historischen, politisch wichtigen Epoche wird mit Bildlegenden und ausführlichen Informationstexten (Prof. Claus Friede und Mathias von Marcard) zu den Orten und deren lokaler Geschichte ergänzt. Die Schwarz-Weiß Werkgruppe gibt dem Betrachter mit der Sichtweise von Yvonne von Schweinitz die Möglichkeit sich ein eigenes Bild von dieser Kulturregion und den politischen religiösen Konflikten zu machen.
Mit diesen Photographien und der Ausstellung wird der Anspruch, dass Kunst neue Perspektiven schafft und einen interkulturellen Austausch ermöglicht, eindrucksvoll umgesetzt. Daher ist der Photographin Yvonne von Schweinitz zu wünschen, dass ihre Werkserien auch in einem ausführlicheren Buch und dann mit einem stilistisch photographischen Schwerpunkt publiziert werden. (db)
Ausstellung bis 11. April 2021 im Archäologischen Museum (Frankfurt am Main)
SYRIEN. Fragmente einer Reise, Fragmente einer Zeit
Photographien von Yvonne von Schweinitz
Hrsg.: Prof. Claus Friede und Mathias v. Marcard
Texte von Prof. Claus Friede und Mathias v. Marcard
Deutsch, Englisch
Buchgestaltung Broschur
96 Seiten, 86 Abbildungen in Schwarz-Weiß und Farbe
Eigenverlag
ISBN 978-3-9818282-5-2
15,00 € (21,40 €, inkl. MwSt. und Versand)