Ein Buch über das Warten und das Nichts in der Abgeschiedenheit einer Unterkunft für Geflüchtete
Tief im Schwarzwald, im Holzbachtal, liegt die Flüchtlingsunterkunft H8, in der über 20 Jahre lang Geflüchtete untergebracht wurden. Das Holzbachtal ist kein Ort, es ist nur eine Straße, ein Bach, mitten im Wald. Die Männer haben dort nichts zu tun, außer warten, schlafen, kochen, sich mit ihren Handys beschäftigen. Wenn sie Glück haben, können sie nach einigen Monaten einen Integrationskurs in der nächstgrößeren Stadt besuchen. Wenn sie Pech haben, warten sie vergeblich darauf.
Drei Jahre lang hat Sibylle Fendt die jungen Männer regelmäßig besucht und porträtiert. Drei Jahre lang hat sie mit ihnen gewartet und die Zeit verstreichen lassen. Drei Jahre lang saß sie mit ihnen hinter zugezogenen Vorhängen in ihren Zimmern, während draußen die schöne Schwarzwaldlandschaft lag.
»Draußen passierte die schöne Schwarzwaldlandschaft, mir bestens vertraut, doch den Bewohnern vollkommen gleichgültig. Sie bauten sich Höhlen, kleine zugehangene Schutzräume, in denen sie Tee tranken, rauchten und mit ihren Handys auf ihre vertraute Welt und ihre Sehnsuchtswelten zurückgriffen und Kontakt zu Verwandten und Freunden hielten. Meistens war ich willkommen, oft wurde ich zum Essen eingeladen und durfte mit ihnen die Zeit verstreichen lassen. Nur manchmal – vielleicht in den Momenten, in denen ihnen ihre ausweglose Lage zu sehr bewusst wurde und sie sich dessen schämten – wollten sie alleine sein. Bis heute bin ich in gewisser Weise fremd geblieben und stehe noch immer staunend vor einem Rätsel. Ich stelle mir die Frage, was ich machen würde, wenn ich die Heimat verlassen müsste und in der maximalen Fremde neu anfangen müsste. Ich kann es mir nicht vorstellen, und die Frage bringt mich keinen Millimeter weiter. Ich frage mich, was die Männer denn machen könnten, anstatt in ihren vernebelten Höhlen zu sitzen. Ich finde die Frage anmaßend und bleibe weiterhin ratlos. So verbrachte ich mit ihnen Zeit und versuchte zu lernen, die Zeit einfach so verstreichen zu lassen und in dem Jetzt und in dem Nichts den ganzen Sinn zu finden und ein Bild davon zu machen.« – aus dem Text von Sibylle Fendt
Sibylle Fendt (*1974) studierte Fotografie an der Fachhochschule Bielefeld und bei Wolfgang Tillmans an der Städelschule in Frankfurt/Main. Seit 2002 arbeitet sie als unabhängige Fotografin. Ihre Arbeiten wurden vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit der Joop-Swart-Masterclass, World Press Photo, Amsterdam, mit dem Dokumentarfotografie-Förderpreis der Wüstenrot-Stiftung, dem Vattenfall Fotopreis und dem Deutschen Fotobuchpreis. Sie lebt und arbeitet in Berlin. (Kehrer Verlag)
Sibylle Fendt
Holzbachtal, nothing, nothing
Fotografie und Texte: Sibylle Fendt
Gestaltet von Julia Kuon
Festeinband mit Schweizer Bindung und 8 Seiten Textheft
Format: 20 x 24 cm, 168 Seiten
78 Farbabbildungen
Deutsch, Englisch
Kehrer Verlag
ISBN 978-3-96900-000-7 2020
38,00 €