Laudatio
Die Deutsche Gesellschaft für Photographie verleiht ihren Dr.-Erich-Salomon-Preis 1999 an Eva Besnyö für ihr fotografisches Lebenswerk, das sie trotz politischer Verfolgung und anderer kontinuierlich geschaffen hat.
Schon zu Beginn ihrer bildjournalistischen Arbeit - im Berlin der Jahre 1931 und 1932 - war ihr bevorzugter Themenkreis der einfache Mensch. Vor allem nach dem 2. Weltkrieg hat sie sich - wie damals viele Fotografen - unter dem Eindruck des Krieges und der Nachkriegsnot verstärkt humanistischen Zielen verpflichtet gefühlt: Ihre Reportagen über das Emma Kinderhospital oder die Folgen der Flutkatastrophe in Zeeland sind Beispiele ihres sozialen Engagements. Daß Eva Besnyö sich noch mit 70 Jahren der holländischen Frauenbewegung „Dolle Mina“ angeschlossen hat und zur Dokumentaristin ihrer Aktivitäten wurde, ist nicht nur in den Niederlanden mit Bewunderung anerkannt worden. Die Deutsche Gesellschaft für Photographie ehrt mit der Auszeichnung von Eva Besnyö eine große Persönlichkeit, die, wie viele kreative Talente wegen des Rassenwahnsinns der Nazis, der Fotografie in Deutschland verloren gegangen sind.
Geboren wurde Eva Besnyö am 29. April 1910 in Budapest. Ihr Vater war ein liberal eingestellter, erfolgreicher Budapester Rechtsanwalt. Nach dem Gymnasium wollte sie - anders als ihre beiden Schwestern - nicht studieren, sondern etwas Praktisches lernen. Da sie mit einer Kodak-Brownie gern und sehr gut fotografierte, folgte sie dem Rat ihres Onkels, Fotografin zu werden. Ihr Vater ermöglichte ihr eine Lehrzeit bei dem über Ungarn hinaus bekannten Portrait-, Werbe- und Industriefotografen Josef Pecsi. Das meiste lernte Eva Besnyö, wenn sie dem Fotografen nach dem Unterricht freiwillig assistierte. Bei einer solchen Gelegenheit lernte sie auch den drei Jahre älteren Kunststudenten Györgi Kepes kennen, der als Modell für Pecsi arbeitete. Durch ihren neuen Freund kam Eva Besnyö mit marxistischem Gedankengut in Berührung. Kepes war es auch, der Besnyö klarmachte, daß sie - nach dem Abschluß ihrer Lehre - zur Sammlung weiterer Erfahrung nach Berlin gehen müßte, weil dort die künstlerische Arbeit am rasantesten fortschreite und die Arbeit des Bauhauses grundlegend sei. Györgi Kepes ging ebenfalls nach Berlin, als Assistent von Lazlo Moholy-Nagy.
Eva Besnyö war von Berlin begeistert. Sie sah viele russische Filme, sah Gret Palucca tanzen, besuchte das Theater Piscators oder diskutierte mit Freunden bis in die Nacht. Beruflich war es in Berlin schwer für sie, eine interessante Beschäftigung zu finden. Sie war froh, als Dr. Peter Weller, ein Fotograf, der für Zeitungen und Zeitschriften arbeitete, ihr einen Job als Volontärin anbot. Allerdings zahlte er dafür nur ein Taschengeld und veröffentlichte alle ihre Fotos unter seinem Namen. Durch die finanzielle Unterstützung ihres Vaters unabhängig, war die Arbeit für Weller eine gute Lösung: Eva Besnyö lernte viel und konnte sich ihre Bildthemen weitgehend selbst aussuchen. Nach den Sommerferien 1932 wagte sie den Schritt in die Selbständigkeit. Neben Portraitaufnahmen machte sie Pressebilder, die sie über die Bildagentur Neofot vertrieb. In der zweiten Hälfte des Jahres 1932 wurden die Zeichen der bedrohlichen politischen Lage immer deutlicher. Deshalb entschied sie sich, mit ihrem niederländischen Freund John Fernhout nach Amsterdam zu gehen - und dies obgleich Amsterdam verglichen mit Berlin damals tiefste Provinz war. Seine Mutter war die bekannte Malerin Charley Toorop, die einen großen Freundeskreis hatte. Auf diese Weise kam Eva Besnyö mit niederländischen Avantgarde-Künstlern und - Architekten in Kontakt. Um als Fotografin besser ins Geschäft zu kommen, stellte sie eine Ausstellung ihrer Fotos zusammen, die 1934 in der Galerie „Van Lier“ gezeigt wurden. „Van Lier“ hatte zuvor nur einmal Fotografie gezeigt (Aufnahmen des später weltberühmten Erwin Blumenfeld). Die Ausstellung mit Aufnahmen Eva Besnyös wurde in der Presse großartig besprochen und verbesserte ihre Auftragslage. Zusammen mit den Fotografen Carel Blazer und Cas Oorthuys realisierte Eva Besnyö eine internationale Fotoausstellung, die das angesehene Amsterdamer Stedelijk Museum 1937 unter dem Titel „foto 37“ zeigte.
In diesen Jahren hat Eva Besnyö Portraits für Privatkunden gemacht und weiter für Zeitschriften fotografiert. Dabei war die Architekturfotografie ein Schwerpunkt ihrer Arbeit. Eva Besnyö fotografierte bald - durch die Vermittlung des Architekten Alexander Bodon - für verschiedene Avantgarde-Zeitschriften und wurde so zur ersten Adresse für die Fotografie von Avantgarde-Architektur. Als 1940 die Deutsche Wehrmacht die Niederlande überfiel, konnte Eva Besnyö zunächst noch weiterarbeiten. 1941 erschien sogar noch ein Buch, das mit ihren Aufnahmen illustriert war. Dann kam das Berufsverbot für jüdische Fotografen. 1942 sah Besnyö die Notwendigkeit, zunächst in Rotterdam und später in Broek in Waterland unterzutauchen. In dieser Zeit machte sie Paßfotos für eine Widerstandsgruppe, die falsche Ausweise und Kreditpapiere herstellte.
Nach dem 2. Weltkrieg wandte sich Eva Besnyö, wie viele andere Fotografen, verstärkt einer humanistischen Werten verpflichteten Fotografie zu. Es ist nicht erstaunlich, daß Edward Steichen aus den Nachkriegsaufnahmen von Eva Besnyö ein Bild für seine „Family of Man“- Ausstellung ausgesucht hat. Ehrenvolle Aufträge - wie Kinderhilfe-Sondermarken - sowie zahlreiche Ausstellungen und Auszeichnungen in der Folgezeit sind ein Beweis dafür, wie sehr Eva Besnyö in ihrer neuen Heimat verehrt wird. Dieser Verehrung möchte sich die Deutsche Gesellschaft für Photographie mit der Verleihung des Dr.-Erich-Salomon-Preises an Eva Besnyö anschließen.
Die DGPh ist davon überzeugt, dass das Fotografische Werk von Eva Besnyö, dass sich durch da Neue Sehen und ein großes soziales Engagement auszeichnet, auch in Deutschland - wo Eva Besnyö ihre ersten Erfolge hier in Berlin erleben konnte - immer geschätzt und bewundert werden wird.
Dr. Karl Steinorth