Die Fotografin Helga Paris erhielt den Kulturpreis 2019 der Deutschen Gesellschaft für Photographie. Die Preisvergabe fand am 12. Januar 2020 um 19.00 Uhr in der Akademie der Künste, Berlin, statt. Damit verbunden war die Finissage der Ausstellung „Helga Paris, Fotografin" an gleichem Ort.
Die in Berlin ansässige Fotografin und Künstlerin Helga Paris, 1938 in Golinow/Pommern geboren, wird mit dem Kulturpreis der DGPh geehrt. Die Gesellschaft zeichnet damit eine der bedeutendsten deutschen Künstlerinnen aus, die sowohl die klare dokumentarische Bildsprache der Photographie auf höchstem Niveau beherrscht, als auch die experimentelle, dem Filmischen zugewandte Qualität des Mediums in tiefsinnig ausdrucksstarken Serien umgesetzt hat. Helga Paris hat sich als Chronistin ihrer Zeit hoch verdient gemacht. Vor allem die von ihr vermittelte ostdeutsche Realität gewinnt durch ihre Werke Plastizität und eine überzeugende Anschaulichkeit.
Der Beginn ihrer photographischen Arbeit liegt für Helga Paris in den 1960er-Jahren. Ab 1945 aufgewachsen in Zossen (Brandenburg), geht sie 1956 zum Studium der Modegestaltung nach Berlin. Über den Maler Ronald Paris, mit dem sie zwischen 1961 und 1974 verheiratet ist und mit dem sie die Kinder Robert und Jenny bekommt, gewinnt Helga Paris einen erweiterten Einblick in kunstgeschichtliche Zusammenhänge. Es ist der befreundete Dokumentarfilmemacher Peter Voigt, der sie um 1967 ermuntert, ihre photographische Tätigkeit weiter voranzutreiben.
Bewegende Motive findet sie in ihrer Lebensumgebung im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. Das Bild vom Menschen, der Alltag im damaligen Ostdeutschland wird zum Zentrum ihres Schaffens. Helga Paris bringt dies das Prädikat einer bemerkenswerten Chronistin ihrer Zeit ein.
Keinesfalls zu Unrecht. Denn schon in den frühen Serien, die in der Zeitschrift Das Magazin unter dem Titel „Müllfahrer" (1974) und „In den Kneipen von Berlin" (1975) erschienen, zeigt sich ihre besondere Gabe, aus laufendem Geschehen selbst allerfeinste Impulse und Zwischentöne unaufgeregt und in aller Konzentration und Symbolkraft dingfest zu machen. Dabei bleibt sie dem Medium der analogen Schwarz-Weiß-Fotografie bis zu ihrer letzten Werkreihe „Mein Alex" (2011) treu, eine Serie, die neben den Reihen „Leipzig Hauptbahnhof" (1981/82) und „Moskau" (1991/92) in der Retrospektive „Helga Paris, Fotografin" in der Akademie der Künste, Berlin, kuratiert von Inka Schube, zum ersten Mal ausgestellt wird.
Diese Ausführungen schon weisen darauf hin, dass Helga Paris die von ihr ausgewählten Themen oft in Serien, oft auch längerfristig bearbeitet, sei es über Monate oder sogar Jahre. So kommt es nicht allein zu einer intensiven Auseinandersetzung mit ihren Sujets, sondern auch zu einer gezielten Bildauswahl, die in verdichteter Form Zeitgeschichte zum Ausdruck bringt.
Beispielhaft hervorgehoben sei die Reihe „Häuser und Gesichter", ein Porträt der Stadt Halle, aufgenommen zwischen 1983 und 1985, das klarer und authentischer nicht sein konnte. Marode Straßen und vernachlässigte Fassaden und Dächer werden ebenso sichtbar wie die nüchtern melancholische Stimmung der Menschen. Aus Sicht der damaligen SED-Bezirksleitung ist dies kein geeigneter Auftritt für Halle, was dazu führt, eine Veröffentlichung und Ausstellung der Fotografien massiv zu verhindern. So werden die Arbeiten erst nach der Wende Anfang 1990 in einer Kooperation zwischen der Galerie Moritzburg und dem Marktschlösschen in Halle gezeigt, nun aber mit enormem Erfolg. 1991 erscheint dazu das Buch Diva in Grau, Häuser und Gesichter in Halle.
Nachdrücklich glaubhafte Bilder vom Menschen, seiner Befindlichkeit und Haltung gelingen Helga Paris sowohl in der Reihe ihrer Selbstporträts, die sie zwischen 1981 und 1989 vor einem Spiegel aufnimmt, als auch in der Bildreihe, die sie 1984 von Arbeiterinnen im Bekleidungswerk Treff-Modelle realisiert. Die Ausdrucksstärke dieser Serie mag auch vor dem Hintergrund stehen, dass die Fotografin selbst einmal dort gearbeitet hatte und zwar als Praktikantin im Rahmen ihres Modestudiums.
Doch nicht alle Bildgruppen, von denen insgesamt eine Reihe von etwa 20 an der Zahl bekannt ist, sind im dokumentarischen Stil umgesetzt worden. Die Reihen „Friedrichshain, Berlin" (1993) und „Erinnerungen an 2." (1994) verdeutlichen dies und verweisen desgleichen einmal mehr auf ihre Intention, thematische Inhalte kompositorisch genau abzustimmen. Mit gezielt eingesetzten Bewegungsunschärfen etwa sucht sie neue Ausdrucksformen ebenso wie mit begleitenden Texten.
Die fotografischen Betrachtungen von Helga Paris führen weit über die sogenannte Wende in die Gegenwart und berichten unabhängig ihrer Entstehungsorte - seien diese in Deutschland, in Georgien, in Kanada, in New York, in Russland, in Polen oder in Italien gelegen - vom Menschen, von den Bedingungen seiner Existenz, seiner emotionalen und kulturellen Verbundenheit und Verstrickung. In Paris' Schaffen erweist sich, dass die photographische Visualisierung auf alle Sinne angewiesen ist, sich die Reise im Kopf ebenso bildhaft manifestiert wie die tatsächlich durchgeführte. Die Grenzen zwischen Imagination und Dokumentation, Alltäglichem und Außergewöhnlichem erscheinen in ihrem Schaffen auf das Günstigste aufgehoben. Ihre Bilder überzeugen in sensibler Vielschichtigkeit und Nuancierung stiller Grautöne.