Cornell Capa, Sue Davies und Anna Fárová werden 1990 mit dem Kulturpreis geehrt.
Die Deutsche Gesellschaft für Photographie (DGPh) verleiht am 24. November 1990 in Stuttgart ihren Kulturpreis an drei große Förderer der Photographie: an Cornell Capa aus New York, Sue Davies aus London und Anna Fárová aus Prag. Der Kulturpreis der DGPh wird für bedeutende Leistungen in der Fotografie vergeben.
Seine Bedeutung erlangt diese wichtigste Auszeichnung der DGPh vor allem durch die Namen der Preisträger*innen in den vergangenen 32 Jahren.
Auch 1990 zählen die drei Ausgezeichneten wieder zur ersten Garde der Fotografiekultur. CornelI Capa, Sue Davies und Anna Fárová, diesen so unterschiedlichen Persönlichkeiten, ist zweierlei gemeinsam: Sie haben sich in besonderem Maße um die Anerkennung der Fotografie als eigenständige Kunstform verdient gemacht und sie einem großen Publikum nahe gebracht. Cornell Capa verwirklichte seine Vision eines Museumszentrums, das ausschließlich der Fotografie dienen sollte, 1974 mit dem "International Center for Photography" (I.C.P.) in New York. Mit der Überzeugungskraft eines Missionars und durch glückliche Umstände gelang es ihm, diesem "Leuchtturm der Photographie", wie Henri Cartier Bresson das I.C.P. nannte, weltweite Anerkennung zu verschaffen.
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Auszug aus der Laudatio von Jeanne Freifrau von Oppenheim auf Cornell Capa:
Ein herzliches Lachen kombiniert mit ein paar humorvollen Bemerkungen - dieser erste Eindruck bietet sich dem Besucher von Cornell Capa dar. Das Lachen beweist seinen Optimismus und dient gleichzeitig als eine Art Selbstschutz vor eventuellen Unannehmlichkeiten. sein Humor zeigt Kontaktfreudigkeit und Interesse am Gegenüber. Diese Eigenschaften sind nur einige der Komponenten einer außergewöhnlichen Persönlichkeit, die es geschafft hat, das Unmögliche möglich zu machen.
Das "International Center of Photography", New York, wurde vor 16 Jahren von Cornell Capa gegründet und steht heute noch unter seiner Leitung. Als einzige eigenständige Institution, welche den ganzen Bereich Photographie umfaßt, gilt das I.C. P. als einzigartig in den Vereinigten Staaten. Cornell Capa hat es aus fruchtbaren Boden, bestehend aus den Nachlässen seines Bruders sowie seiner verstorbenen Photographen-Kollegen gestampft und wie durch ein Wunder ohne öffentliche Mittel und ohne einen professionellen Mitarbeiterstab ins Leben gerufen.
Glückliche Zufälle und die Überzeugung eines Missionars haben es ihm ermöglicht, diesem "Leuchtturm der Photographie", wie Henri Cartier-Bresson sagte, weltweite Anerkennung zu verschaffen. Für diese Leistung wird Cornell Capa der Kulturpreis der Deutschen Gesellschaft für Photographie 1990 verliehen.
Als Emigrant eines Landes, dessen Sprache nirgendwo sonst auf der Welt verstanden wird, übernahm der Ungar Capa eine universale Sprache nämlich die der Kamera. Durch sie hatte er die Möglichkeit, Ereignisse, die ihn bewegten und beschäftigten, visuell zum Ausdruck zu bringen. Er selbst beschreibt sein Lebensziel durch ein Zitat von Lewis Hine: zwei Dinge, die ich erreichen wollte. Ich wollte
"Es gab die Dinge zeigen, die verbessert werden mußten. Ich wollte die Dinge zeigen, die gewürdigt werden muß-ten." In ein Wort gefaßt, heißt sein persönliches Credo "Concern". Die manifeste Bedeutung dieses Wortes wird in seiner Biographie immer wieder zum Ausdruck gebracht. [...]
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Auszug aus der Laudatio von Christiane Gehner auf Sue Davies:
Die Deutsche Gesellschaft für Photographie verleiht den Kulturpreis des Jahres 1990 an Sue Davies aus London. Sie ehrt mit diesem Preis eine Persönlichkeit, die sich in besonderem Maße um die Vermittlung der künstlerischen und professionellen Photographie verdient gemacht hat und dies seit über 20 Jahren. sie hat in England und über die Grenzen hinaus erheblich dazu beigetragen, diesem Medium die Wertschätzung und Beachtung im öffentlichen Kunst- und Kulturleben zu verschaffen - und so wie ich sie kennengelernt habe, wird sie das auch in Zukunft weiter tun.
Am 14. Januar 1971 eröffnete Sue Davies in London in der Great Newport Street Nr. 8 die Photographers Gallery, die erste in ihrer Art in Europa. Fünf Jahre später sollte die Financial Times anläßlich einer Helmut-Newton-Ausstellung ihre offene und unumwundene Anerkennung zum Ausdruck bringen, daß eine kulturelle Institution es geschafft hatte, fünf Jahre lang in guter Gesundheit während so schwieriger Zeiten zu überleben und es vor allem inhaltlich von Erfolg zu Erfolg zu bringen. Aber der Reihe nach.
Wer war Sue Davies 1971 und was hatte sie dazu bewogen, sich so zielstrebig für eine Sache einzusetzen, von der strenge Kritiker noch heute sagen, daß sie nichts mit Kunst zu tun hat? Mit Kunst hatte Sue schon in ihrer Kindheit zu tun. sie wuchs umgeben von Gemälden von Klee, Mondrian und Tanguely in einem möblierten Appartement in New York auf. Dort verbrachte sie mit ihrer Familie die letzten fünf Jahre des zweiten Weltkrieges, In der Wohnung Ian-den sich auch alle Jahrgänge der Illustrierten LIFE, in denen sie mit Hingabe blätterte. Das war die Bilderwelt der Sue Davies und sicherlich ausschlaggebend für ihr weitergehendes und immerwährendes Interesse an den zeitgenössischen bildenden Künsten, später als Studentin am Institute of Contemporary Arts und dann als Mitarbeiterin bei verschiedenen Ausstellungsprojekten. 1968 endlich wurde sie feste Mitarbeiterin im ICA als Ausstellungssekretärin von Roland Penrose und Julie Lawson und ein Jahr später war sie bereits hauptverantwortlich für eine große Photographie-Ausstellung: Karl Paweks "Woman", die das iCA von den photokina-Bilderschauen übernommen hatte. [...]
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Auszug aus der Laudatio von Manfred Heiting auf Anna Fárová:
Man stelle sich vor: Eine junge, attraktive Kunsthistorikerin aus Prag sucht den Rat zweier Meister ihres Fachs. Sie faßt sich ein Herz und sucht binnen einer Woche Max Ernst und Henri Cartier-Bresson in Paris auf. Der eine, Max Ernst, lädt sie zum romantischen Soupee à deux und ist so hingerissen von ihr, daß er noch im Verlauf des Abends aus heiterem Himmel vorschlägt, am nächsten Morgen mit ihm nach Mexico durchzubrennen. Der andere, Henri Cartier-Bresson, bittet sie nachmittags in sein Atelier und bespricht mit ihr ausführlich seine Projekte und stellt, sichtlich beeindruckt, eine Zusammenarbeit in Aussicht.
Zwei verlockende Angebote und eine knifflige Wahl, kein Zweifel. Wie auch immer die junge Anna Fárová sich entscheiden würde, ihr nächster Schritt würde in die Kunstgeschichte eingehen. Doch Anna Fárová braucht nicht lange zu überlegen. Eine Fußnote im Leben und Werk des Malers Max Ernst war eine Sache, doch sie nahm sich vor, ein ganzes Kapitel für die Fotografie selbst zu schreiben, und Henri Cartier-Bresson bot den Anfang dazu.
Wer Anna Fárová heute begegnet, der kann sich die Situation von damals, 1956 in Paris, recht lebhaft vorstellen. Sie strahlt die gleiche Frische aus, lebhaft, unverdrossen, herzlich und direkt, gepaart mit Selbstbewußtsein und Durchsetzungsvermögen. Wiederholt hat Anna Fárová ihre Begegnung mit Cartier-Bresson als Wendepunkt in ihrem Leben beschrieben, denn was danach folgte, erscheint wie eine gradlinige Arbeit mit dem Ziel, Fotografie als Kunstform zu etablieren und weiterzuentwickeln.
Man erinnere sich: Mitte der 50er Jahre wurde die Fotografie als Waisenkind unter den Künsten höchstens in technischer Hinsicht wahrgenommen, weitab von dem Ruhm und der Erhabenheit der bildenden Künste. Als selbständiges Medium mit eigenen Methoden und Aussagen, eigener Form- und Bildsprache, ganz zu schweigen von einer eigenständigen Ästhetik begriffen ein paar Eingeweihte dieses moderne, zeitgerechte Genre. Sicher, Anna Fárová hatte sich schon vor ihrem Kontakt mit dem großen französischen Visionär mit der Fotografie auseinandergesetzt. Ihr Vater, ein tschechischer Diplomat, der den 2. Weltkrieg in den USA überlebt hatte, brachte bei seiner Rückkehr ganze Stapel der Zeitschrift "Life" mit im Gepäck. Die Foto-Reportagen, die sie darin fand, faszinierten sie und machten ihr deutlich, daß über den dokumentarischen Wert hinaus in den Aufnahmen etwas mitgeteilt wurde, das mehr war als ein reiner Tatsachenbericht. Es wurde ihr deutlich, daß hier Autoren an Werk gewesen waren, die ihre ganze Persönlichkeit in die Aufnahmen gebracht hatten, dabei eine Ästhetik entwickelten und unabhängig von der Technik der Zeit mit ihren Linsen und Blenden geprägt hatten. [...]