Der Kulturpreis 1970 der Deutschen Gesellschaft für Photographie
wird verliehen an
L. Fritz Gruber
in Anerkennung eines rastlosen, in die Tiefe wie in die Breite sich richtenden Strebens, das während zweier Jahrzehnte in Kern eines zum Ziele hatte: die Rolle der Photographie als eines Kulturfaktors der Weltöffentlichkeit vor Augen zu stellen.
Leo Fritz Grubers Verdienste und Aktivitäten sind mit den Begriff "photokina-Ausstellung" nur zu einen Teil charakterisiert. Zwar sind die weltweite Ausstrahlung und das unvergleichliche Flair, welche die Bildschauen ihres kulturellen Teils der Weltmesse der Photographie verliehen haben, das einprägsamste Ergebnis seiner Ideen und seiner Bemühungen. Doch kann man diese, die augenfälligste Leistung wohl auch vergleichen mit jenem kleineren Teil eines Eisbergs, der sich über der Wasseroberfläche den Auge darbietet.
Denn die mehr als 200 internationalen Ausstellungen, die realisiert wurden, sind lediglich die Knüpfpunkte eines Netzes, dessen Fäden alles einzuschließen suchen, was der Förderung, der Würdigung und des Zeigens wert ist in der schöpferischen wie in der dokumentarischen Photographie. Dazu gesellen sich jene Aspekte der Photographie, die dem besseren Verstehen der Menschen untereinander dienen oder aber der Freude an selbstgestalterischem Tun. Ungezählte Zeitschriftenartikel, Vorträge und Ansprachen ebenso wie Rundfunk- und Fernsehsendungen kommen hinzu. Sie entstanden teils zur Vorbereitung, Begleitung oder Unterstützung der Bildschauen, teils unabhängig von ihnen in selbstständigem publizistischem
Schaffen. In einer Anzahl stattlicher Bildbände (finden die so gewonnenen Einsichten weiterhin sichtbaren Ausdruck - und noch mehr in dem, was nicht schwarz auf weiß vorzuzeigen ist. Damit ist von Grubers katalysatorischer Wirksamkeit die Rede, die sich auf Individuen wie Gemeinschaften gleichermaßen erstreckt, in Deutschland wie in vielen Ländern der Welt, und die in jeder Einzelheit der Geltung der Photographie - im weitesten Sinne - zu dienen sucht.
Leo Fritz Gruber. in Köln 1908 geboren, studierte zunächst Kunstgeschichte, Theaterwissenschaft und Sprachen. Schon als Schüler hatte er Photos veröffentlicht, auch die journalistischen Arbeiten, mit denen er sein Studium finanzierte, illustrierte er mit eigenen Photos. Eine Wochenschrift, die er 1930 mit gleichgesinnten Freunden gegründet hatte, wurde 1935 verboten. In London, wohin er auswanderte, schuf er sich eine neue Existenz als “Mitarbeiter graphischer und photographischer Fachzeitschriften und als Werbe- und Reprographie-Fachmann. Die so erworbenen Erfahrungen ermöglichten ihm, als er 1939 bei einem Besuch der Eltern in Deutschland vom Kriegsausbruch überrascht wurde, den Aufbau einer Reihe von Photokopie-und Mikrokopie-Betrieben; daneben machte er sich als Fachphotograph einen Namen.
In seiner Eigenschaft als Vorstandsmitglied der Vereinigung der Photokopier- und Reproduktionsbetriebe nahm Gruber im September 1949 teil an den abschliessenden der zahlreichen Beratungen, die zur Verwirklichung der photokina führten. Ihm wurde dabei der Vorsitz des Arbeitsausschusses übertragen. Die Pläne, eine Photomesse mit kulturellem
Ausstellungsteil zu schaffen, hatten in Frühjahr 1948 ihren Ursprung beim Verband der Deutschen Photographischen Industrie, der im Herbst jenes Jahres die gesamte deutsche Photowirtschaft dafür gewann und das grosse Werk dann gemeinsam mit der Messegesellschaft Köln durchführte.
Dies war der Anfang eines Weges - und wohin er inzwischen geführt hat, das steht vor aller Augen. Dabei liegt Grubers besonderes Verdienst darin, den Rahmen der ihn gestellten Aufgabe mit Ideen- und Gestaltungskraft so ausgefüllt zu haben, daß die Fachmesse durch die besonderen Akzente, die er ihr im Fortgang der Jahre verliehen hat, jedesmal von neuem auch ein kulturelles Ereignis von unverwechselbarem Charakter ist. Und weiterhin, daß auch die daraus erwachsenden zusätzlichen Impulse über den ursprünglich gesetzten Rahmen längst hinausgewachsen sind. Erwähnt sei von vielen lediglich die vor nahezu 20 Jahren auf Grubers Initiative gegründete Deutsche Gesellschaft für Photographie mit ihrer internationalen Mitgliedschaft.
Leo Fritz Grubers Arbeit dient der Photographie schlechthin - in all ihren Verzweigungen und Verflechtungen, in aller Welt.
Prof. Beaumont Newhall, Rochester [New York)
in Anerkennung eines Lebenswerks, das in allen Stadien gültige Maßstäbe gesetzt hat für die Bedeutung, welche der Photographie in ästhetischer,
kultureller und soziologischer Hinsicht zukommt. Und zwar in Vergangenheit wie Gegenwart.
Angesichts der eher beiläufigen Art, mit welcher dir Rolle der Photographie, wenn überhaupt, in der offiziellen Kunsthistorie behandelt wird,
sind Beaumont Newhalls Forschungen und Puplikationen sowie seine Leistungen als Museumsfachmann besonders hoch einzuschätzen.
Nach Ausbildung wie Rang und Betrachtungsweise fest in der Kunstwissenschaft verwurzelt, hat er von Anbeginn der Photographie besondere Aufmerksamkeit zugewandt und sie bereits in einen frühen Stadium seiner Laufbahn in den Mittelpunkt seines Interesses und seiner Arbeit gestellt.
1908 in Lynn (Massachusetts) geboren, studierte Beaumont Newhall Kunstgeschichte am Harvard College, wo er als Zweiundzwanzigjähriger cum laude zum Bachelor of Arts, ein Jahr darauf zum Master of Arts graduierte. Er setzte von 1933 bis 1935 seine Studien fort an der Harvard University, am Courtauld-Kunst-Institut der University of London und am Institut dÁrt et d´´Archéologie der Pariser Universität.
Vorher hatte er sich als Dozent am Philadelphia Art Museum und als Assistent am Metropolitan Museum of Art zu New York in einem ersten Stadium der Museumspraxis gewidmet.
Hinter diesen nüchternen Daten, durchaus charakteristisch für eine wohlfundierte kunstwissenschaftliche Laufbahn, verbirgt sich - parallel laufend, aber vollkommen ungewöhnlich - ein besonderes und intensives Interesse, das im Fortgang der Jahre schließlich das Zentrum weitgespannter Aktivitäten bilden sollte. Es handelt sich um die Klarstellung der Rolle, welche Photographie und Film in der Kunst- und Kulturhistorie spielen.
Bereits im Herbst 1926, also als 18jähriger, fand sich Beaumont Newhall stark beeindruckt durch die Begegnung mit zwei Werken von optisch- bildnerischer Gestaltungskraft, die, wie er einst selbst in einem Essay beschrieben hat, ihm die Augen öffnet für die Bedeutung von Film und Photographie. Es waren die Kameraarbeit von Karl Freund, welche die Wirkung des Jannings-Films "Varieté" bestimmte, und die Photos des
Bildbandes "Amerika" von Erich Mendelsohn. Er begann selbst zu photographieren, und in allen ihm nur zugänglichen Ausstellungen studierte
er seitdem die Strömungen der zeitgenössischen Photographie.
In der Rückschau erscheint es bedeutungsvoll, dass er in jener Zeit, noch als Student, für einer Vortrag in Harvard vor der Kunstvereinigung des amerikanischen Colleges als Thema wählte: "Der Einfluss der Photographie auf die Malerei". [...]
Zum Schluß, in Newhalls eigenen Worten, eine kurze Passage aus einer Ansprache zu einer Ausstellungseröffnung, aus der ersichtlich wird, daß Newhalls Beziehung zur Photographie mehr als eine lediglich berufliche oder akademische ist. Er sagte: "Einige der bescheidenen Photos, die ich als Achtzehnjähriger in New York aufnahm, besitze ich noch immer. Aus fast allen sprechen ebensosehr Unerfahrenheit wie das Streben zur Nachahmung der damalisgen Vorbilder. Aber einige sind darunter, an deren ich noch heute meine Freude habe... ."
Auszug aus der Lautadio von 1970