Schlüterstrasse 45 in Berlin-Charlottenburg. Die legendäre Berliner Fotografin Yva hatte dort vor 100 Jahren ihr großzügiges Fotoatelier, und Helmut Newton war an diesem Ort zwischen 1936 und 1938 ihr Lehrling; später wurde er zum Hotel Bogota. Dessen letzter Hotelmanager Joachim Rissmann beließ Yvas Fotostudio wie es ursprünglich war, als Hommage an diese legendäre Fotografin sowie an die Fotografie als Medium. Er erwarb zudem später zahlreiche vintage prints von Yva, von denen einige parallel zu dieser Ausstellung im Projektraum als Leihgabe in der Ausstellung Berlin, Berlin im ersten Stock der Helmut Newton Stiftung hängen. Die meisten dieser Modebilder von Yva sind in ihrem Studio in der Schlüterstrasse Anfang der 1930er Jahre aufgenommen worden, dem späteren Hotel Bogota. Die beiden Selbstporträts von Helmut Newton entstanden ebenfalls dort 1936; eines im Laborkittel, das andere mit Hut und Mantel, wie der „rasende Reporter“ Egon Erwin Kisch, den Newton als Teenager bewunderte; diese Porträts hängen ebenfalls in der Ausstellung Berlin, Berlin.
Auch für spätere Fotografen und Fotografinnen wurde dieser geradezu mythische Ort – das ehemalige Atelier von Yva, später das Hotel Bogota – zu einem Sehnsuchts- und Aufnahmeort, dazu gehören Aino Kannisto und Karen Stuke, die kurz vor der Schließung des Hotels in den Jahren 2012 und 2013 dort zwei sehr individuelle Selbstporträt-Serien realisierten. Beide fotografierten sich in den unterschiedlichsten Räumen des Hotels: Kannisto schlüpft in verschiedene Rollen, trägt immer wieder neue Kleider, manches wirkt etwas mysteriös, beinahe wie eine Filmszene, mitunter mit einer kontemplativ oder melancholisch dreinblickenden Darstellerin. Durch die Inszenierung und das Rollenspiel wird die Fotografin zu einer fiktiven Erzählerin mit großer visueller Präsenz, zur Protagonistin und Regisseurin in Personalunion; insofern handelt es sich bei diesen inszenierten Alltagssituationen nicht um Selbstporträts im eigentlichen Sinn. Ihre Bogota-Bildserie entstand über den Zeitraum eines Jahres, auf mehreren ein- bis zweiwöchigen Berlin-Reisen, auf Einladung von Joachim Rissmann. So hatte Aino Kannisto Zugang zu allen Räumen des Hotels und eignete sich jeden dieser besonderen Orte an. Erst die intensive Beschäftigung mit dem Ort selbst führt in ihrem Werk zu einer Konkretisierung der fiktiven, aber dem Alltag abgeschauten Situationen; erst dann entscheidet sie sich für eine bestimmte Garderobe und Frisur, für Requisiten und den Blickwinkel. Sie scheint völlig allein im Hotel Bogota gewesen zu sein, manchmal sind wir gar an Stanley Kubricks „The Shining“ erinnert, denn irgendetwas Unerwartetes könnte im nächsten Moment geschehen. Es gäbe noch andere Bezüge und Assoziationen zur Kunst-, Film- und Fotogeschichte, gleichwohl ist ihr Werk in seiner subtilen Intensität sehr eigenständig.
Karen Stuke hingegen bleibt in ihren Selbstporträts beinahe unsichtbar. Mit einer selbstkonstruierten Camera obscura respektive gleich mehreren solcher einfachen Lochbildkameras, ihrem Hauptwerkzeug, fotografierte sie sich während des nächtlichen Schlafes, mit stundenlangen Belichtungszeiten. Der Schlaf der Künstlerin bestimmte also die Länge der Negativbelichtung, mal waren es nur zwei Stunden, in der Regel sieben; nach dem Aufwachen schloss oder bedeckte sie die simple Lochblende der Kamera, und insofern ist der gesamte Zeitraum den Fotografien gleichsam als sich überlagernde Zeitschichten eingeschrieben. Stuke führte mit diesem Projekt im Hotel Bogota eine frühere Bildserie mit dem Titel „Sleeping Sister“ fort, mit der sie sich auf den Erfolgsroman „Schlafes Bruder“ von Robert Schneider bezog. Das Buch wiederum nimmt Bezug auf die griechische Mythologie, auf Hypnos, den Gott des Schlafes, und dessen Bruder Thanatos, den Gott des Todes. In ihrer Bogota-Serie bezieht sich Stuke vor diesem Hintergrund auf die wechselvolle Geschichte des Hauses in der Charlottenburger Schlüterstrasse – von Yvas Studio über die nationalsozialistische Reichskulturkammer und nach 1945 als Ort der Entnazifizierung der deutschen Kulturschaffenden bis hin zum Hotel Bogota. Die Berliner Fotografin belegte, ebenfalls auf Einladung von Joachim Rissmann, der im Erdgeschoß auch die legendäre Ausstellungsplattform „Fotoplatz“ schuf, nacheinander, Nacht für Nacht, beinahe alle Zimmer des Hotels. In einer installativen Hängung zeigt sie nun hier 24 Ergebnisse ihrer Nachtruhe, stets ein Zimmer, ein Interieur mit einem Bett, in dem sich ein Mensch, nämlich sie selbst, mehrfach herumgedreht haben muss, wie die Bewegungsspuren der Langzeitbelichtung belegen. Daneben hängt Stuke, als rechten Teil der individuellen Diptychen, die originalen Rettungswegschilder aus diesem Raum, die sie kurz vor der Schließung des Hotels abschrauben durfte. Im Hotel selbst waren einige Räume auch mit Originalbildern ausgestattet, so gab es beispielsweise ein René Burri Zimmer und das Zimmer 418 mit Werken von Helmut Newton. Beide Räume sind Teil des Bildtableaus, das von der Künstlerin immer wieder neu ortsspezifisch arrangiert wird. Davor liegen Teppiche aus dem ehemaligen Hotel Bogota.
So schließt sich mit dieser Präsentation gleich mehrfach ein Kreis, mit dem Bezug zu Yva und Newton – und der großen Gruppenausstellung im ersten Stock des Museums. Schließlich begegnen wir auch Helmut Newton selbst im Hotel Bogota, aufgenommen von Joachim Rissmann, an der legendären Treppe in Yvas ehemaligem Studio, wo auch zahlreiche Modebilder von Yva entstanden waren. Newton war damals ja Zeitzeuge und hat in seinem Werk später ebenfalls Mode- und Aktbilder auf solchen Treppen fotografiert, er hat Yvas Werk kongenial ins Zeitgenössische weitergeführt.