Yvonne Most (DGPh)
Die Erinnerungen der Anderen

Texte: Felix Hoffmann in Deutsch u. Englisch
Festeinband 22 x 27,5 cm 128 Seiten 73 Farbabbildungen
Kehrer, 2019
ISBN 978-3-86828-916-9; 35,- Euro

Als Enkelin einer Familie mit sudetendeutscher Herkunft geht Yvonne Most ihren familiären Wurzeln photographisch nach. Dabei entdeckt sie Verbindungen von kollektiven Erfahrungen aus Spuren der Erinnerung und historischen Recherchen. Ihre Photoserie eröffnet einen neuen Blick auf eine Gegend, eine Landschaft mit verwachsenen Narben, die sich stetig weiterentwickelt. Die Photographin interessiert sich für das Unfertige, die Fehlstellen und das, was am Rand passiert oder auch nicht passiert. Die Photoserie wirft Fragen nach der eigenen Biografie auf und ermöglicht den Betrachtenden, jenes Bedürfnis nach alter und neuer Heimat zu reflektieren. Yvonne Most (*1981) studierte Photographie an der Kunsthochschule Halle und an der Ostkreuzschule in Berlin und arbeitet als freischaffende Photographin für zahlreiche Magazine, wie Neon, Nido und ZEIT Campus und als Dozentin, unter anderem bei C/O Berlin. (Ausstellung: Die Zeit vergeht, Stipendiatenausstellung Kunststiftung des Landes Sachsen-Anhalt, Halle (Saale), 29. Mai – 30. Juni 2019)

 

David Batchelder - Alfred & Me
Photographien von David Batchelder und Alfred Ehrhardt

Herausgegeben von Christiane Stahl (DGPh) für die Alfred Ehrhardt Stiftung
Texte von Christiane Stahl, David Batchelder und Alfred Ehrhardt
Buchgestaltung: Festeinband, 112 Seiten, 63 Farb- und 19 S/W-Abbildungen Michael Imhof Verlag, Fulda 2019
ISBN: 978-3-7319-0881-4; 19,95 Euro

Mit dem Begleitbuch David Batchelder - Alfred & Me editiert die Alfred Ehrhardt Stiftung eine Werkserie die eine Hommagé an Alfred Ehrhardt Werkserie `Das Watt´ (1933–1936), einen bedeutenden Vertreter der `Neuen Sachlichkeit,´ ist. Dennoch unterscheiden sich die beiden Werkserien diametral. Alfred Ehrhardt geht es um die Funktion der Strömung, die Gesetzmäßigkeiten der Gezeiten (Tide) und die daraus entstehenden Texturen, Formen und Strukturen, die im komponierten Bildausschnitt der exakt definierten Lichtsetzung sachlich gestaltet sind. Dies wird u.a. darin deutlich, dass er in der Hauptserie die Motive ohne Bezug zur realen Umgebung (z.B. Horizont) zeigt und damit auf die reine Form reduziert. Im sechsstündigen Intervallen erfolgt die Metamorphose vom Mikro- und Makrokosmos zu photographischen Strukturen, aus denen erste Typologien entstehen.
David Batchelders Photographien dagegen sind diffus in fließenden Farben und Formen, als wären Landschaften aus großer Höhe unscharf photographiert worden oder handele es sich um Gemälde. Eine Aspekt den Christiane Stahl in ihrem Essay mit zahlreichen Beispielen von William Turner bis Max Ernst belegt. Die Motive sind chaotische fast surreale Phantasie- oder Traumwelten, die eine Nicht-Rationale Freiheit des Spielerischen nutzen.Beide Werkserien regen den Betrachter gleichermaßen zu Assoziationen (Gesichter, Gespenster, Tiere und Pflanzen) und Vergleichen zu bereits gesehenem an. Beide Photographen gehen von einem banalen Stück Strand im Gezeitenwechsel aus und erzeugen dennoch ganz unterschiedliche photographische Bilder.
Das Buch hat dazu zwei sehr interessante Texte, in denen beide Photographen schildern mit welchen stilistischen und technischen Mitteln sie die von ihnen gesuchten Bildaussagen erreichen. Daraus wird die sehr unterschiedliche Arbeitsweise deutlich: Ehrhardts analysierende strukturierende Bildfindung, die dann perfekt in SW-Photographien realisiert wird und die digital massenhaft produzierten Motive von Batchelder aus denen er im Nachhinein am Computer mit reduzierender Methode eine Auswahl trifft. Ob die Befreiung von technischen Gegebenheiten eine leichtere Gestaltung ermöglicht, kann jeder für sich entscheiden. Das Buch ist eine wichtige Neuerscheinung, da es stilistisch einen bedeutenden Photographen vorstellt und zugleich dazu anregt, Vor- und Nachteile technischer Verfahren und Bildgestaltung und Bildaussage als eine Einheit zu erkennen. Mit diesem Buch und der Ausstellung wird der vielbeschworene Anspruch, dass Kunst neue Perspektiven schafft und einen interkulturellen Austausch ermöglicht, eindrucksvoll umgesetzt.
(Ausstellung 27. April bis 7. Juli 2019 in der Alfred Ehrhardt Stiftung ,Berlin in der Reihe 100 jahre bauhaus) db

 

Stephen Gill: The Pillar (& Night Procession)
Text von Karl Ove Knausgard in Englisch
Aus drei Teilen bestehender Festeinband ohne Schutzumschlag, wie erschienen, 21,5 x 27 x 3 cm., 224 S. mit 120 Fotografien in S/W und in Farbe
ISBN 9780955657795; 50,- Euro

Für den Photoband, The Pillar, arbeitete der britische Photograph Stephen Gill wieder mit dem vom bekannten Photobuch-Designer Greger Ulf Nilsson zusammen: er machte aus einer Gill-typischen Idee einen hochwertig gestalteten Photoband, der nicht nur Vogelkundler, sondern auch Photobuch-Liebhaber nachhaltig erfreuen dürfte. Der aus dem Londoner Bezirk Hackney stammende und nach Schweden ausgewanderte Photograph Stephen Gill setzt für seine im Selbstverlag als Photoband veröffentlichte Serie eine mit einem Bewegungsauslöser ausgestattete Kamera ein. Der Zweck bestand darin, die Beobachtung des regen Vogeltreibens unweit seines Wohnhauses, in Gills Abwesenheit photographisch zu dokumentieren. Für sein Projekt errichtete er eine Bühne mit einem Durchmesser von 8 cm in Form einer Holzsäule, die etwa eineinhalb Meter hoch war, und gegenüber davon eine andere, auf der er eine Kamera montierte, die durch Bewegung ausgelöst wurde. Die Vorgehensweise ähnelt seinem anderen Projekt, Night Procession, über das nächtliche Treiben im Wald, das er in ähnlicher Ausstattung wie The Pillar 2017 auch im Eigenverlag veröffentlicht hat.
Das hochwertig verarbeitete Buch setzt die photographfische Praxis des Briten, die oft handwerkliche Vorarbeit voraussetzt, gestalterisch und editorisch um: der Einband setzt sich aus drei zusammengesetzten, farbig unterschiedlichen Teilen zusammen und repräsentiert den technischen Aufbau des Projektes. Die Photographien wurden auf einem haptisch sehr präsentem, hochwertigen 200gr-Papier gedruckt. Der literarische Text von Karl-Ove Knausgard wurde als fadengeheftete Beilage konzipiert.
Dass es sich um einen zwar ornithologisch motivierten, aber immer noch künstlerischen Photoband handelt, wird am Editing und einigen Details sichtbar. Was The Pillar vom Handbuch unterscheidet, sind auch die fehlenden Bildüberschriften, die dem Betrachter eine Identifizierung der Vögel ermöglichen sollten. Diese Informationen finden sich - für Kunstbände wiederum typisch - im Anhang wieder; die Reminiszenz an das Handbuch: der Index ist alphabetisch und nicht chronologisch sortiert.  
Zum Inhalt: die mit der montierten Kamera automatisch entstandenen Aufnahmen selbst sind manchmal unscharf, nicht weil die Vögel sich unschlüssig verhielten, sondern weil sie in ihrem Alltag photographiert wurden. Und genau dies macht die Bilder und damit das Buch so spannend: die Vögel fühlen sich absolut unbeobachtet und bewegen sich völlig natürlich. Wir sehen Vögel in der Vorder-, oder Rückansicht, im Profil und in Aktion. Dabei bleibt der Hintergrund - ein Feld - immer gleich scharf und zeigt uns den Wechsel der Gezeiten und offenbart gleichzeitig, dass es sich um ein ernst zu nehmendes Langzeitprojekt handelt.Stephen Gill hat mit The Pillar einen rundum gelungenen, hochwertig produzierten, aufrichtigen Kunstphotoband veröffentlicht, beide Daumen hoch! (@ Richard G. SPORLEDER, im Juni 2019)

 

Dr. Paul Wolff & Tritschler
Licht und Schatten - Fotografien 1920 bis 1950

Herausgegeben von Hans-Michael Koetzle
Texte von Sabine Hock, Randy Kaufman, Hans-Michael Koetzle, Kristina Lemke,
Günter Osterloh (DGPh), Tobias Picard, Gerald Piffl, Shun Uchibayashi, Thomas Wiegand (DGPh)
Festeinband, 464 Seiten mit 1000 Abbildungen in Farb- und Duplexdruck
Kehrer, 2019
ISBN 978-3-86828-880-3; 78,- Euro

Mit diesem ersten umfassenden, fast 500 Seiten starken Katalogband zu Dr. Paul Wolff (1887–1951) und Alfred Tritschler (1905–1970) werden zwei der um 1930 bekanntesten deutschen Photographen wiederentdeckt.
Der studierte Mediziner und photographierende Seiteneinsteiger Dr. Paul Wolff lernte eher zufällig die mit der Kleinbildkamera gegebenen neuen Möglichkeiten kennen. Bei der „Deutschen fotografischen Ausstellung“ vom 14. August bis 1. September 1926 im „Haus der Moden“ in Frankfurt am Main gewann er mit seinen ‚Bildern aus Werbe- und Industriefilmen‘ eine Leica – was letztlich seine photographische Karriere startete. Wolff schrieb dazu einmal: „Seit dieser Zeit gehört meine ganze Neigung dem großen Leben, der unbegrenzten Weite der Welt, all dem, was die Kleinkamera einzufangen berufen ist.“
Zusammen mit seinem Partner Alfred Tritschler kreierte Dr. Paul Wolff einen ganz neuen, lebendigen Stil. Kaum eine Gattung, die nicht bedient wurde: Reportage, Mode, Industrie, Sachaufnahme, Architektur, Reise, Landschaft, Tiere, Automobile, Fliegerei, Schiffsreisen, ländliches Leben.  „Als rühriger Publizist war Wolff unübersehbar Teil einer Medien-Moderne, sein Bilderkosmos auch international präsent: über Zeitschriften, Magazine oder photoillustrierte Bücher. Auf dem Feld der Werbung waren Wolff und Tritschler ebenso zu Hause, wie auf dem Gebiet der Firmenschrift: Industrieaufnahmen sollten ab Anfang der 1930er Jahre zum Kerngeschäft des Unternehmens avancieren, nachdem Wolff das Prädikat ‚Pionier der Leica‘ nicht mehr zu nehmen war. Zu seiner Zeit war Wolff nicht zu übersehen“, stellt Herausgeber Hans-Michael Koetzle (DGPh) in seiner Einführung in das im Kehrer-Verlag, Heidelberg, als Katalog zur großen Ausstellung im Ernst Leitz Museum in Wetzlar erschienenen Bildband fest. Günter Osterloh (DGPh) weist dort unter dem Titel „Kleines Negativ – großes Bild“ allerdings auf die in der Frühzeit der Kleinbildphotographie deutliche Diskrepanz zwischen optisch-mechanischer Technik und der Qualität beim Entwickeln und Vergrößern des lediglich verfügbaren „Kino-Rohfilms“ im Aufnahmeformat 24x36 mm hin, an deren Lösung Paul Wolff ständig arbeitete. Das auf 700.000 Aufnahmen geschätzte Werk der Photoagentur Dr. Paul Wolff & Tritschler spiegelt gleich mehrere Kapitel deutscher Geschichte: vom kulturellen Aufbruch in den Jahren der Weimarer Republik über das Dritte Reich bis hin zum Zweiten Weltkrieg. Formal-ästhetisch bewegten sich die beiden Photographen zwischen Konvention und Neuer Sachlichkeit, Heimatstil und Neuem Sehen. Ihr photographisches Wirken hat unsere Vorstellung des alten oder ‚Neuen Frankfurt‘ ebenso geprägt wie ihre Fernweh atmenden Aufnahmen von Auto- und Schiffsreisen oder Fahrten mit dem Zeppelin. In der Summe sind es nicht wenige Widersprüche, die das Wirken von Wolff & Tritschler über gut drei Jahrzehnte auszeichnen. Aber gerade das macht ihr zwischen Dienstleistung und Kunstanspruch, Avantgarde und Anpassung oszillierendes Werk ergiebig für eine breit angelegte, historisch-kritische Betrachtung. Daher rekapituliert das erste große Buch zu Wolff und Tritschler Werk und Vita der beiden Photographen vor dem Hintergrund einer politisch, sozial und künstlerisch bewegten Zeit und schließt damit eine Lücke im Diskurs um die Photographie der 1920er- bis 1950er-Jahre. (vZ) (Ausstellung „Dr. Paul Wolff & Tritschler – Fotografien 1920 bis 1950“, Ernst Leitz Museum, Wetzlar, noch bis Januar 2020)

 

Gunter Sachs
Kamerakunst – Fotografie, Film und Sammlung

Hrsg.: Dr. Otto Letze, Maximilian Letze
Vorwort von Rolf Sachs
248 Seiten, 224 Abbildungen
Format: 24x32,5 cm, gebunden, Hardcover
München, Hirmer Verlag
ISBN: 978-3-7774-3327-1; 39,- Euro

So sehr sein extrovertierter Lebensstil Gunter Sachs (1932 – 2011) in der öffentlichen Wahrnehmung zum Liebhaber der schönen Frauen stempelte, so sehr pflegte er selbst seine Laufbahn als Liebhaber der schönen Künste. Sachs war Kunstsammler, Mäzen, Galerist, Kurator, Freund der Kunst und der Künstler, vor allem aber war er selbst ein erfolgreicher Photograph und Filmemacher. Und er war ein profunder Photographiesammler.
„Gunter Sachs hatte einen sehr dedizierten Blick und Geschmack. Dieser wurde in jungen Jahren durch sein Interesse an zeitgenössischer Kunst, Gestaltung, Photographie wie auch Design geprägt“, erläutert sein Sohn Rolf, selbst künstlerisch tätig, in seinem Vorwort die Intention seines Vaters, „der zunächst Filmemacher war und ab Mitte der 1970er Jahre sein photographisches Auge schärfte“.
In dem im Hirmer Verlag, München, erschienenen Katalogband zur Ausstellung „Gunter Sachs – Kamerakunst“, die anlässlich des 10jährigen Bestehens der Kunsthalle Schweinfurt zu sehen war, schildern Otto Letze und Anne Breuche zunächst dessen Kindheit und Jugendzeit, dann wie dessen Sammlung bei seinem längeren Studienaufenthalt in Paris entstand, wie er in New York der Pop-Art der amerikanischen Avantgarde begegnete und schließlich welchen Einfluss die Kunstgeschichte auf sein Wirken hatte. Unter dem Titel „Architekt der Schönheit“ äußert sich Eva Karcher zur ästhetischen Handschrift des Künstlers und Kosmopoliten Gunter Sachs.  Er selbst als Photomotiv, gewissermaßen „im Kamerablick“, folgen zunächst zwei aufklappbare Doppelseiten, bevor, jeweils zunächst in Wort und anschließend im Bild, die Themen Gunter Sachs – der Filmemacher, der Fotograf, der Fotografiesammler, dessen verschiedene künstlerische Tätigkeiten mit Zitaten verschiedener Wegbegleiter und Photographien dargestellt werden. Sachs‘ eigene photographisches Schaffen ist unterteilt in Mode, Architektur, Landschaft, Porträt und Akt sowie – am umfangreichsten – seine künstlerische Fotografie. Das Kapitel „“Gunter Sachs – der Fotografiesammler“ umfasst, alphabetisch angeordnet, Werke aus den 1930er-Jahren bis in die Gegenwart u.a. von Dirk Arentz, Jeff Dunas, Andreas Feininger, Philippe Halsman, Horst P. Horst, Will McBride, Werner Pawlok, Irving Penn, Walter Schels, Christer Stroemholm, Andy Warhol bis Reinhard Wolf. Das Buch „Gunter Sachs – Kamerakunst“ belegt, dass dieser mehr als berühmter Playboy, nämlich ein kreativer Filmemacher, Photograph und Photographiesammler war. (vZ)

 

Dirk Gebhardt
Play Life, Nachbarn auf dem Westbalkan

Festeinband, 120 Seiten, 58 Photographien
Slanted Publishers, 2019
ISBN: 978-3-9818296-4-8; 29,90

Weltweit definieren sich Menschen erneut durch ein altes Phänomen: National-staaten. Die Nation als Heilsbringer in einer komplexen Welt. der eigene Staat wird glorifiziert und setzt andere Nationen in einer imaginären Hierarchie her-ab. Geschichtlich gesehen sind Nationalstaaten eine junge Erscheinung. Erst seit der Französischen Revolution haben Menschen nach Identität in Sprache, Grenzen und Nation gesucht. Davor herrschten Könige über eine Vielzahl von Ländern und Völkern. In ihrem Hoheitsgebiet wurden viele Sprachen gespro-chen und die Bevölkerung gehörte verschiedenen Religionen an. Im Absolutis-mus hielt der König das Volk zusammen. Neue politische Ideen und wirtschaftliche Produktionsansätze erforderten neue Identifikationsmechanismen. Sprache, Rasse und Grenze bildeten nun eine Na-tion. Es entstanden nationale Mythen, die diese neue Definition des Staates historisch begründeten. Die Deutschen nutzten den Krieg gegen Frankreich 1871, ein deutscher König wurde zum Kaiser proklamiert - obwohl Deutschland 1815 noch aus mehr als 39 Staaten bestand, die sich zum Deutschen Bund vereinigten. Die neuen Staaten des Westbalkans verwendeten ähnliche Ansät-ze, um ihre nationale Identität zu definieren. Einige bauten pseudogeschichtli-che Gebäude und Skulpturen, um die historische Existenz ihrer Nationen zu unterstreichen, andere verwendeten Religion und Neuinterpretationen histori-scher Momente auf dem Balkan, um ihren Glauben an das Recht auf Dominanz über die anderen Nationen zu untermauern. Von außen betrachtet sieht es aus wie eine Mimikry von häufig verwendeten Mustern für den Aufbau von Natio-nen - es sieht aus wie „Play Life“. Von 2009 bis 2017 hat Dirk Gebhardt die subtilen Symbole des Nationalen im Straßenbild der Hauptstädte, Pristina, Belgrad, Skopje und Sarajevo gesucht. Der Balkan ist seit Jahrhunderten multikulturell geprägt. Die unterschiedlichen Dynastien gingen tolerant mit dem Mix aus Religionen, Sprachen und Traditio-nen um. Die Photographien im Buch zeigen scheinbar beiläufige Alltagssituati-onen, doch warum steht 15 jähre nach dem Kosovo Krieg immer noch das zer-störte Verteidigungsministerium in Belgrad? Warum stehen in Skopje über 2000 neue Denkmäler? Erst seit dem Zusammenbruch der Jugoslawischen Republik haben nationalisti-sche Kräfte die marginalen Unterschiede als Separationsmuster etabliert. Gra-vierendstes Beispiel einer Nationalistischen Umdeutung ist die Sprache. Serbo-kroatisch ist seit 18. Jahrhundert eine Sprache mit einem grammatikalischen System. Nach dem Zerfall Jugoslawiens entwickelten die Nachfolgestaaten aus politisch motivierten Gründen neue Bezeichnungen:  Kroatisch, Serbisch, Bos-nisch und Montenegrinisch. Diese kann man Sprachwissenschaftlich nicht als voneinander unabhängige Sprachen definieren. Vielmehr handelt es sich um leicht voneinander abweichende Realisierungen einer Makrosprache und somit de facto um dasselbe Sprachsystem - Serbokroatisch.

 

Anna Katharina Zeitler
If you can dream it, you can do it

Texte von Bill Kouwenhoven, Anna Katharina Zeitler in Deutsch u. Englisch
Festeinband, 76 Seiten, 38 Farbabbildungen
Kehrer Verlag, Heidelberg
ISBN 978-3-86828-912-1; 29,90 Euro

Mit dem Buch If you can dream it, you can do it editiert das Stadtmuseum München der jungen Photographin Anna Katharina Zeitler eine erste Monografie zur Ausstellung.
Die Photographien drücken autobiografisch die Lebenssituation der letzten 10 Jahre der Photographin aus, die geprägt waren durch „ständigen Unterwegssein und der Sehnsucht, endlich irgendwo anzukommen.“
Die Farbe der Photographien drückt ihre Emotionen dieser Jahre wie Rastlosigkeit und Heimweh. Melancholie und Magie, aus. Die Motive sind Metaphern ihrer Erinnerungen, in denen sie autobiographische Situationen mit Fiktionalem verbindet. Da Zeit und Ort nicht real sind können sie auch als Projektionsflächen für den Betrachter und seine Empfindungen funktionieren.
Ein interessantes Buch, das in seiner hybriden Form der Photographie zum Nachdenken über die Photographie und ihre künstlerischen Möglichkeiten anregt und einen Beitrag zu weiteren Diskursen über die stilistischen Varianten der Farbphotographie bietet. db

 

Sammy Hart
Ocean of Clouds - Alpine Fluchten

Text von Titus Arnu
Festeinband, 24 x 23 cm, ca. 148 Seiten, ca. 100 Abb.
Sieveking Verlag, 2019
ISBN: 978-3-944874-69-2; 45,- Euro

Sammy Hart ist national wie international für seine außergewöhnlich künstlerischen und authentischen Porträtaufnahmen bekannt. Dieser Bildband zeugt von einer weiteren Leidenschaft des Münchner Photographen: den Bergen. Um seinem urbanen Alltag zu entfliehen, zieht es ihn regelmäßig in die Alpen. Sie sind für ihn Fluchtpunkt und Rückzugsort, wenn das Verlangen nach dem Draußensein groß wird. Dort weicht das Alltägliche dem Abenteuer Natur. Wie bei seinen Porträtphotographien arbeitet der Lichtbildner bei seinen exzellenten Bergaufnahmen den einzigartigen Charakter dieser jahrtausendealten steinernen Eminenzen heraus. Von weiß und silbern über anthrazit bis schwarz oder polychrom werden sie in Szene gesetzt: dramatische Lichtstimmungen, abrupte Wetterwechsel, schroffe Felsen, schmale Steige, Gipfelfreude … Es sind Momente der Bergeinsamkeit, poetische Bilder, voller Schönheit und Erhabenheit – Stets mit einem wachen Blick für die ökologischen Realitäten unserer Zeit, wie Klimawandel, überfüllte Wanderwege und Schneepisten. Sammy Hart arbeitet seit vielen Jahren als renommierter Photograph für Magazine, Werbeagenturen und Verlage in den Bereichen Mode, Lifestyle oder Reportage. Titus Arnu ist Autor und freier Journalist u. a. für die SZ und Geo. In Zusammenarbeit mit Enno Kapitza ist jüngst der Bildband Tsum Glück im Sieveking Verlag erschienen.

 

Benita Suchodrev
48 Stunden Blackpool

Texte von Matthias Harder (DGPh) und Benita Suchodrev in Deutsch u. Englisch
Festeinband, Duplexabbildungen, 160 Seiten, ca. 120 Abbildungen in Schwarz-Weiß
Kehrer Verlag, Heidelberg
ISBN 978-3-86828-870-4 2018; 39,90 Euro

Mit dem Buch 48 Stunden Blackpool begleitet der Freundeskreis Willy-Brandt-Haus die vielseitigen Aspekte des `Brexit´ und dessen abstrakte politische Aspekte. Ein bemerkenswerter Beitrag dazu ist die eigenwillige Sicht der Photographin Benita Suchodrev auf das „Britische Freizeitvergnügen.“ Sie präsentiert in einem bildjournalistischen Stil, der auch von einem Zeitgeist in der aktuellen Photographie geprägt ist, eine Variante der „street photography“ die den Inhalt und die Emotion vor eine konzeptuelle gestalterische Durchdringung des Themas stellt.
Thema der photographischen Serie und auch des Buches ist die berühmte Freizeitpromenade in Blackpool (England) mit ihren bisweilen absurden Freizeitbeschäftigungen der Briten. Es ist eine spontane Photographie, die das Warten auf den „entscheidenden Moment“ bei Henri Cartier-Bresson ersetzt durch eine keine persönliche Distanz respektierende bisweilen im Vorübergehen locker aus der Hüfte geschossenen Motiven, und diese Härte durch eine sehr kontrastreiche Schwarzweiß Photographie unterstreicht.
Die Momentstudien eines Alltags werden vor der Kulisse der aktuellen Brexitdiskussion zu einer pessimistischen Gesellschaftsstudie für eine Bevölkerung, die sich in Bingo-Salons, Hot-Dog-Ständen und Burlesque-Theatern aufhält. Wo skurrile Typen, Mamas und Papas, Kinder und Möwen sich miteinander beschäftigen und Individuen aller Altersstufen und Sozialschichten sich nach einem kurzen Glücksmoment in Form eines Glücksspiels, einer Tüte Eis oder eines Ritts auf dem Esel sehnen.
Das Buch ist nicht nur ein gelungener Erinnerungsband an einen Besuch in Großbritannien, sondern für den ambitionierten Amateurphotographen auch eine schöne Anregung für einen eigenen Photorundgang im Freizeitambiente. Ein für Reisende und Photographen gleichermaßen interessantes Buch, das zu einer kritischen Reflexion Englands und der Bedeutung der „street photography“ anregt. (Ausstellungen im Rahmen des Brexit Programms, Berlin) db

 

This Place
Hrsg.: Matt Brogan, Text(e) von Matt Brogan, Charlotte Cotton, Miki Kratsman, Yotam Ottolenghi, Jeff Rosenheim, Rachel Seligman
Texte in Englisch
Festeinband,  280 Seiten mit 279 Abbildungen
Hatje Cantz, 2019
ISBN 978-3-7757-4616-8; 48,- Euro

Das monumentale Kunstprojekt This Place erforscht Israel und das Westjordanland, als Ort und als Metapher, durch die Augen von zwölf international gefeierten Photographen. Ihre Bilder hinterfragen die Geschichte, die Trennlinien und Paradoxien der Gegend und ihrer Bewohner. Durch die unterschiedlichen Bildsprachen, Nationalitäten und kulturellen Hintergründe der Photographen entsteht kein monolithisches Bild, sondern vielmehr ein vielschichtiges und fragmentiertes Porträt der Region. Die Arbeiten wurden zuvor in renommierten Museen wie dem DOX Centre for Contemporary Art in Prag, dem Tel Aviv Museum of Art und dem Brooklyn Museum ausgestellt. Der Photoband bildet nun den Abschluss des Projekts und enthält mehr als 200 spektakuläre Bilder, Ausstellungsansichten sowie Essays hochrangiger Kuratoren zur Geschichte von This Place und seiner Bedeutung für die heutige politische und kulturelle Diskussion. Beteiligte Photographen: Frédéric Brenner, Wendy Ewald, Martin Kollar, Josef Koudelka, Jungjin Lee, Stephen Shore, Rosalind Fox Solomon, Thomas Struth (DGPh), Jeff Wall, Nick Waplington. (Ausstellung: Jüdisches Museum Berlin 7.6.2019–5.1.2020)

 

 

Aufbruch im Westen. Die Künstlersiedlung Margarethenhöhe
Photographien u.a. von Albert Renger-Patzsch

Herausgegeber: H.T Grütter und A. Heimsoth
Texte von H.T Grütter, A. Mikuscheit, R. Welzel, A. Heimsoth, R. Metzendorf, D. Bessen, u.a.
Festeinband, 304 Seiten, ca. 300 Abbildungen in Farbe und Schwarz-Weiß
Klartext Verlag, Essen 2019
ISBN: 978-3-8375-2100-9; 29,95 Euro

Mit dem Begleitbuch Aufbruch im Westen editiert das Ruhr Museum einen wichtigen Beitrag zu der Darstellung der Bauhaus Entwicklungen innerhalb der 100 jahre bauhaus im westen. Das Bauhaus ist weniger ein künstlerischer Stil als vielmehr eine Lebenshaltung, die das Verständnis der Künste untereinander beinhaltet. Mit diesem Diskurs ist das BAUHAUS auch nach 100 Jahren noch ganz aktuell in der Kunstdiskussion (Siehe Rezension `Farbe Grau´). Dieser Dialog der ineinandergreifenden Fachschaften wurde auf der Margarethenhöhe exemplarisch verwirklicht. So sind folgende künstlerische und kunsthandwerkliche Werkstätten vorhanden: Der Grafiker Hermann Kätelhön, die Bildhauer Joseph Enseling und Will Lammert, die Buchbinderin Frida Schoy, die Goldschmiedin Elisabeth Treskow, der Photograph Albert Renger-Patzsch, die Töpfer Will Lammerts und Kurt Lewy sowie die Maler Kurt Lewy und Joseph Albert Benkert. Diese Entwicklung Essens vom Zentrum der Montanindustrie zu einer Kulturmetropole in NRW hat zwei Ausgangspunkte. Der Erbauer der Margarethenhöhe der Architekt Georg Metzendorf kann die Stifterin der Siedlung Margarethe Krupp davon überzeugen nicht nur Wohnraum zu schaffen, sondern auch Künstler mit ihren Werkstätten anzusiedeln. So entsteht eine bedeutende Künstlersiedlung, die mit Dresden-Hellerau und Darmstadt-Mathildenhöhe vergleichbar ist, da 1922 auch noch die Folkwang Sammlung nach Essen kommt. Das daraus entstehende Folkwang Museum wird zum Nukleus der modernen Photographie, ab 1928 als Wirkungsort des Photographen Albert Renger-Patzsch und ab 1956 durch Otto Steinert. Dieser `Aufbruch im Westen´ wird 2019 in der Ausstellung Neues Sehen - Neue Sachlichkeit aufgegriffen und stilistisch thematisiert. Daher ist es tragisch, dass es nach 1945 keinen Neubeginn für die Künstlerkolonie Margarethenhöhe gab.
Der einzige heute auch international noch bekannte Künstler dieses Kreises ist der Photograph Albert Renger-Patzsch, der aber bereits 1944 nachdem er ausgebombt war nach Wamel am Möhnesee gezogen war. So hat er in den 1950er Jahren sein Spätwerk Bäume und Gesteine in Westfalen geschaffen, aber dieses war nicht mehr mit dem Folkwang Museum und der Margarethenhöhe verbunden. Dort hatte er hat für seine Kollegen in der Töpferei gearbeitet, die Photographie der Emaille Schalen von Kurt Lewy sind heute eine Ikone der Avantgarde Photographie (Titelbild). Aber er hat sich von der Margarethenhöhe aus auch in besonderer Weise mit dem Industrieraum an Rhein und Ruhr auseinandergesetzt, wie viele berühmte Photographien und Bücher bezeugen. Diese Auseinandersetzung hatte ihren Höhepunkt in der Werkserie Ruhrgebiet Landschaften mit der das neue photographisches Thema schuf die Industrielandschaft. (Ausstellung 8. April 2019 bis 5. Januar 2020 im Ruhr Museum, Essen) db

 

Patrick Rössler
Bauhausmädels

Texte: Deutsch, Englisch, Französisch
480 Seiten
Format: 18x25 cm, in Leinen gebunden
Köln, Taschen-Verlag
ISBN 978-3-8365-6353-6; 30,- Euro

Als 1919 das Staatliche Bauhaus in Weimar seine Pforten öffnete, bewarben sich, angelockt vom progressiven Charakter der Schule, mehr junge Frauen als Männer um die Studienplätze. Die Genderpolitik am Avantgardeinstitut war allerdings keineswegs vorbildlich: Von Gropius und den meisten der lehrenden und mitstudierenden Männer argwöhnisch beäugt, bei der Entfaltung ihrer Talente nach Kräften behindert und nach Möglichkeit in die „Frauenklasse“, die Weberei, abgedrängt, eroberten sie sich dennoch alle Fachbereiche, auch neue Medien, wie die Photographie, und bislang als rein „männlich“ begriffene Domänen, wie Bildhauerei, Industriedesign oder Architektur. Marianne Brandt, Florence Henri, Grete Stern und Ellen Auerbach, Friedl Dicker, Anni Albers, Otti Berger und viele mehr schrieben mit ihren Werken Kunst- und Designgeschichte und verkörperten manchmal tatsächlich die „Neue Frau“, die in der Weimarer Republik Prototyp eines neuen Frauenbildes wurde.
Autor Patrick Rössler, der Kommunikationswissenschaft an der Universität Erfurt lehrt und Kurator mehrerer Ausstellungen zum Bauhaus ist, stellt in dem Band mit über 400 Porträtfotos knapp 90 Künstlerinnen und Kunsthandwerkerinnen vor, von denen viele lange Zeit vergessen waren. Dabei orientiert sich die Reihenfolge der Biographien an den Geburtsdaten der Frauen: Die älteste wurde zur Zeit Otto von Bismarcks geboren, die jüngste am Vorabend des Ersten Weltkriegs.
Neue archivarische Funde vervollständigen das Bild der wenigen prominenten Bauhaus-Frauen, wie Lucia Moholy, die, nach der Machtübernahme der Nazis aus Deutschland geflohen, ihr Archiv mit 650 Glasnegativen ihrer berühmten Architektur-, Objekt- und Porträtaufnahmen Gropius anvertraut hatte und später nur auf juristischem Wege ihr Urheberinnen- und Eigentumsrecht geltend machen konnte, Gertrud Arndt, die eigentlich Architektur studieren wollte, dann in der Weberei landete und sich schließlich ganz der Photographie zuwandte, oder Marianne Brandt, die als erste Frau in der Metallwerkstatt des Bauhauses arbeiten durfte und deren Entwürfe für Leuchten, Aschenbecher und andere Haushaltsgegenstände bis zum heutigen Tag von Alessi verwendet werden.
Das im Taschen-Verlag, Köln, erschienene Buch „Bauhausmädels“, das ausschließlich Biographien und Photos aus der Bauhauszeit von 1919 bis 1933 versammelt, ist somit ein längst überfälliger Tribut an die oft völlig unterschätzten weiblichen Mitglieder des Bauhauses. (vZ)

 

Art Collection Deutsche Börse XL Photography 6
Herausgeber: Deutsche Börse AG
Texte: Anne-Marie Beckmann, Sebastian Knoll, Alexandra König, Annekathrin Müller in Deutsch u. Englisch
Festeinband mit Schutzumschlag, 32 x 32 cm 168 Seiten 201 Farb- und Duplexabbildungen
Kehrer, 2019
ISBN 978-3-86828-910-7 2019; 49,80 Euro

Die Art Collection Deutsche Börse zählt zu den bedeutendsten Sammlungen zeitgenössischer Photographie in Europa und umfasst mittlerweile über 1.800 Werke von rund 120 internationalen Künstlerinnen und Künstlern. 2019 feiert die Art Collection Deutsche Börse ihr 20-jähriges Bestehen. Der Sammlungsschwerpunkt liegt auf vielfältigen zentralen Themen der zeitgenössischen Photographie ab der Mitte des 20. Jahrhunderts. Es sind sowohl Positionen vertreten, die heute schon als Klassiker gelten, als auch Arbeiten von jungen Kunstschaffenden. Künstlerische Projekte und konzeptionelle Arbeiten werden durch umfangreiche Werkgruppen der Reportage-Photographie ergänzt. XL Photography 6 ist der sechste Bildband, der mit 20 verschiedenen Künstlerinnen und Künstlern die Neuerwerbungen für die Art Collection der letzten vier Jahre präsentiert. Photographen: Judith Ammann, Florian Albrecht-Schoeck, Jana Bissdorf, Walker Evans, Samuel Fosso, Weronika Gęsicka, Paul Graham, Hsu-Pin Lee, Dana Lixenberg, Lilly Lulay, Mike Mandel, Susan Meiselas, Zanele Muholi, Gabriele und Helmut Nothhelfer, Helga Paris, Gordon Parks, Heinrich Riebesehl, Julian Röder, Malte Sänger, Guy Tillim. (Ausstellung: Changing Views – 20 Years Art Collection Deutsche Börse Foam, Amsterdam  03.05.– 07.07.2019)

 

Saul Leiter – Retrospektive
296 Seiten, 155 Farb- und S/W-Abb.
Kehrer Verlag
ISBN 978-3-86828-258-0; 49,90 Euro

Saul Leiter (*1923 in Pittsburgh) erfährt erst seit wenigen Jahren die verdiente Würdigung als einer der führenden Pioniere der Farbphotographie. Das mag daran liegen, dass Leiter sich selbst lange in erster Linie als Maler verstand. 1946 nach New York gekommen, stellte er gemeinsam mit Abstrakten Expressionisten wie Willem de Kooning aus. In den späten 1940er- Jahren begann er, neben der Malerei schwarzweiß zu photographieren. Wie Robert Frank oder Helen Levitt fand er seine Motive auf den Straßen New Yorks, war dabei aber sichtbar an Abstraktion interessiert. Edward Steichen war einer der ersten, der Leiters Photographien entdeckte und sie in den 1950er-Jahren in zwei wichtigen Photoausstellungen und in seinem Diavortrag Experimental Photography in Color im New Yorker MoMA zeigte. Farbphotographie galt damals noch als Gebrauchskunst, deren Platz in der Werbung war. Seit den späten 1950ern arbeitete Leiter vor allem als Modephotograph, unter anderem für Esquire und Harper’s Bazaar. Es sollte noch fast 40 Jahre dauern, bis seine künstlerische Farbphotographie wiederentdeckt wurde, deren Farbigkeit eher von malerischem Einsatz als von photographischen Mitteln zeugt. Der von Detlev Pusch gestaltete Bildband, der anlässlich der weltweit umfassendsten Retrospektive erscheint, zeigt neben Leiters frühen Schwarzweiß- und Farbaufnahmen auch erstmals seine Modephotographie, die übermalten Aktphotos sowie seine Malerei und seine Skizzenbücher.  (Ausstellung: Kunstfoyer der Versicherungskammer Kulturstiftung München, 05.06. – 15.09.2019)

 

 

Sue Barr
The Architecture of Transit

Festeinband, 104 Seiten mit 45 Abbildungen
Texte von David Heathcote & Davide Papotti in English, Deutsch u. Italienisch
Hartmann Books, 2019
ISBN 978-3-96070-027-2; 34,- Euro

Autobahnen sind die größten von Menschen gebauten architektonischen Strukturen. Sie verbinden Länder, Kontinente und überwinden natürliche und politische Grenzen, erschließen abgelegene Gebiete für Handel, Wirtschaft und Tourismus. Zwischen den Alpen und Neapel verbinden Autobahnen hochkomplexe topographische Gegebenheiten mit urbanen Ballungsräumen. Sie folgen dabei antiken Handelswegen oder den Straßen der Grand Tour der Romantiker des 19.Jahrhunderts, die auf der Suche nach arkadischen, erhabenen Landschaften waren, wie sie von de Loutherbourg, Claude und Turner gemalt worden waren.
Die Erfahrung des Erhabenen in unberührter Natur war einer der Höhepunkte der Grand Tour. Heute rasen wir auf Autobahnen, über Brücken und Auffahrten, durch Galerien und Tunnel – die mühsame, mehrtägige Reise früherer Zeiten schrumpft auf wenige Stunden. Diese Reiseform zeitigt eine neue Form des Sublimen, die der gleichförmigen sich vor dem Auge des Fahrers entfaltenden betonierten Struktur der Autobahn in der Landschaft.
Sue Barr (Professorin für Photographie, Architectural Association, London) ist eine von brutalistischer Architektur und Beton besessene Photographin. Mit Ihrer Großformatkamera folgte Sie von den Alpen bis nach Neapel und photographierte die bislang zumeist ignorierte Architektur der Autobahn.

 

Rüdiger Glatz (DGPh)
Kallmorgen Tower

Historische Photographien von Christian Spindler
Texte von Stephanie Rother und Markus Weckesser (DGPh) in Deutsch
Halbleineneinband, 16,5 x 21 cm, 136 Seiten mit 84 Duplexabbildungen
Kehrer, 2019
ISBN:978-3-86828-901-5; 35,- Euro

Seit Monaten beobachten die Hamburger die Veränderungen an dem markanten Hochhaus in der Willy-Brandt-Straße, dem Kallmorgen Tower. Das 17-stöckige Bürogebäude ist durch seine streng symmetrische Architektur und die prominente Lage auf der Spiegel-Insel ein Symbol für Vorwärtsgewandheit, Veränderungswillen und Durchsetzungskraft. Der Hamburger Architekt Werner Kallmorgen war ein Vordenker, »1968 wirkte sein Bau geradezu futuristisch, heute ist er ein Klassiker« (Theja Geyer).
Das für IBM konstruierte und einer Hollerith-Lochkarte nachempfundene Hochhaus wurde 2016 von Quest Investment Partners erworben, entkernt und nun komplett renoviert. Ruediger Glatz begleitete das Projekt kontinuierlich mit der Kamera und porträtierte seine Entwicklung.
Knapp zwei Jahre begleitete der Photograph Rüdiger Glatz das Projekt kontinuierlich mit der Kamera und porträtierte seine Entwicklung. In dieser Zeit lernte der Wahl-Hamburger die Architektur des imposanten Gebäudes auf eine Weise kennen, die wohl nur wenigen Photographen vergönnt ist. Für seine Aufnahmen hatte er quasi jederzeit Zutritt und konnte das Haus ganz nach eigenem Belieben erkunden. Zuweilen verbrachte Glatz ganze Tage auf der Baustelle, um den Genius Loci zu erspüren und auf Film zubannen.
Werner Kallmorgen(1902 – 1979) studierte von 1920 bis 1925 Ar-chitektur an den technischen Hochschulen in München und Dresden, kehrte aber bald nach Altona zurück. Er wollte das Neue gegen das Alte tauschen. Er war Teil einer jungen Generation von Architekten, die sich bewusst von der Vergangenheit lösen wollten und für den Neubeginn nach dem Krieg standen. Und die Arbeiten des Architekten können sich heute nicht zuletzt deshalb durchaus sehen lassen, weil er sich konsequenter als andere am Werk von Mies van der Rohe orientiert hat – dem letzten Bauhaus-Direktor und bedeutendsten Repräsentanten dieser Schule. Neben neuen Materialien legte Kallmorgen sein Augenmerk besonders auf die Formensprache, die sich sachlich, schlicht und einfach zeigte. Modern eben. Diese Sprache spricht auch Jahrzehnte später der Kallmorgen Tower.

 

Jakob Schnetz
Ort der Verheißung

112 Seiten mit 70 Photos
Format: 17x24 cm, Hardcover
Baden (A), Edition Lammerhuber
ISBN: 978-3-903101-44-9;  39,90 Euro

Messen sind Ereignisse mit maximaler Konzentration von Angebot und Nachfrage auf kleinstmöglichem Raum in minimaler Zeit. Auch sind sie das Spiegelbild einer globalisierten und konsumorientierten Dienstleistergesellschaft. Für jede Interessensgruppe gibt es eine Messe: Waffen, Erotik, Haustiere, Kunst, Babys, Schmuck, IT, Tourismus, Autos, etc. Der Ort der perfekten Vermarktung wird bestimmt von genormten Kulissen, Live-Shows und erbittertem Kampf um Kunden. „Marketing ist Gottesdienst am Kunden“, meint der Schweizer Trendforscher David Bosshart dazu.
Deutschland ist mit mehr als 170 überregionalen Messen pro Jahr der wichtigste Messestandort der Welt. Auf 2.750.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche werden die neuesten Produkte präsentiert, die effizientesten Dienstleistungen angepriesen und das beste Know-how vermarktet. Hier werden 23 Millionen Euro Umsatz generiert und 10 Millionen Besucher betreut.
In dem bei der Edition Lammerhuber, Baden (A), erschienenen Band „Ort der Verheißung“ dokumentiert der Photograph Jakob Schnetz mit analytischem und künstlerischem Blick die ganz besondere exterritoriale Welt der Messen. „Was hier als kompakte Serie erscheint, ist das Ergebnis einer photographischen Annäherung an das abstrakte Thema des ‚Marktes‘ am Beispiel der Fachmesse und der Suche nach photographischen Möglichkeiten der Kritik. Dieser Prozess war kontinuierlicher Begleiter meines Studiums der Photographie, das ich von 2013 bis 2017 an der Hochschule Hannover absolvierte, die sich in direkter Nachbarschaft des größten Messegeländes der Welt befindet“ beschreibt der Photograph seine Intention. Seine oftmals abstrakten Photographien sind mit ganzseitigen, kurzen Statements maßgeblicher Protagonisten unterschiedlicher Generationen, wie Adam Smith, George Sorros, Hartmut Rosa, Igor Kopytoff oder Karl Marx angereichert, die sich mit Marketing, Kapitalismus, Strukturen der Gesellschaft, Konkurrenzkampf der Aussteller, Weltwirtschaft, aber auch gesellschaftlicher Verantwortung befassen. (vZ)

 

Karlheinz Weinberger
Sports

Volume2
Interview zwischen Karlheinz Weinberger und Patrick Schedler
Festeinband, 128 Seiten mit 130 schwarz/weiss Photographien
Sturm&Drang, 2019
ISBN 978-3906822150; 31,- Euro

Außerhalb der berühmten Bilder junger Rebellen und Rocker sind die Sportbilder, die Karl-heinz Weinberger ab den 1950er Jahren machte kaum bekannt. In diesem zweiten Buch (das Volume 1 stellten wir bereits vor) mit Photos des Schweizer Photographen präsentiert der Verlag Sturm&Drang eine weniger bekannte, aber wirklich faszinierende Seite von Weinber-ger. Er arbeitete für verschiedene Sportzeitungen und -magazine und berichtete über Sportler und Wettkämpfe in der Schweiz und in Ländern wie der DDR. Seine Faszination für den männlichen Körperbau wurde bei Radrennen, Wrestling-Matches oder beim Gewichtheben dokumentiert. Eine wahre Entdeckung. Weinbergers Werk wurde von der Kunstszene kurz vor seinem Tod im Jahr 2006 entdeckt und sein künstlerischer Fundus enthüllte Zehntausen-de von Drucken, Dias und Negativen, die im Laufe des letzten Jahrzehnts gesammelt, archi-viert, nummeriert und indexiert wurden. Während dieses Prozesses wurden viele nie zuvor gesehene Bilder entdeckt, und so wurde die Idee angeregt, thematische Bände mit einem einzigen Thema zu veröffentlichen. Sport ist Band 2. Weitere Themen sollen folgen. th

 

Felix Koltermann (DGPh)
Fotografaie und Konflikt

Rezensionen und Kritiken
Taschenbuch, 84 Seiten
Eigenverlag bei Books on Demand
ISBN 9783738616712, 6,90 Euro

Mit dem neuen Band "Rezensionen und Kritiken" ist der nunmehr vierte Band aus der Reihe "Fotografie und Konflikt" erschienen. Über Ausstellungskritiken und Buchrezensionen erlaubt das Buch einen Einblick in kuratorische und publizistische Projekte aus den letzten fünf Jahren, die sich mit der Kriegsphotographie im weitesten Sinn beschäftigen. Das Spektrum der 17 diskutierten Projekte reicht von photojournalistischen bis hin zu künstlerischen Ansätzen. Darunter sind etwa die Ausstellung "Conflict. Time. Photography" aus dem Essener Folkwang Museum, der Band "Lampedusa. Bildgeschichten vom Rande Europas" oder die Arbeit von Tobias Zielony im Deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig im Jahr 2015. Buchpräsentation mit einem Link zu einer Leseprobe: http://fotografieundkonflikt.blogspot.com/p/das-buch-zum-blog-iii-rezensionen-und.html



 

Krieg. Macht. Sinn.
Herausgegeber: St. Berger, H.T. Grütter und W. Kansteiner
Texte von zehn Autorinnen und Autoren aus Europa, die Teil des UNREST-Projekts sind und an der Ausstellung mitgearbeitet haben, in Deutsch und Englisch
Festeinband, 196 Seiten, 99 zahlreiche farbige Abbildungen
Klartext Verlag, Essen
ISBN 978-3-8375-2099-6; 29,95 Euro

Mit dem Begleitbuch Krieg. Macht. Sinn. fasst das Ruhr-Museum nicht nur die eigene Ausstellung zusammen, sondern auch einen umfassende Faktenlage für die aktuellen Diskussionen zu diesem Thema. Das Buch zeigt eindrucksvoll welche bedeutende Funktion die Fotografie als dokumentarisches Medium und als Werkzeug der Propaganda im 20. Jahrhundert und für die Erinnerung der Menschen hat. Die abgebildeten Exponate und die Fachtexte wie `Krieg, Heldentod, Heimatfront´ u.a. ermöglichen einen kritischen Blick auf die unterschiedlichen Kriegsformen aus differenzierten Perspektiven.
Einprägsame Abbildungen geben den Anstoß zum Innehalten und Nachdenken des Lesers und beginnen in Zusammenhang mit den Fachtexten einen Dialog dem sich der Betrachter nicht verschließen kann. Da sind nicht nur die unmittelbaren Kriegsfolgen wie Zerstörung und Verwundung, sondern auch die gesellschaftlichen Folgen wie Völkermord, Flucht und Vertreibung. Die Auseinandersetzung mit dem Thema ist wichtig, weil nachträgliche Sinndeutungen wie „heroische Tat oder sinnloser Opfergang“ das historische Ereignis neu klassifizieren können. Dieser Diskurs ist entscheidend für unsere Deutung aktueller Konflikte und unsere Bereitschaft uns darin zu engagieren. Buch und Ausstellung sind Teil des EU-Projekts `UNREST´ einer Kooperation des Museums mit der Ruhr-Universität (Bochum) der Universität Aarhus (Dänemark) und Bath (England). Der einprägsamen Botschaft des Buches wird sich kein Leser entziehen können, und seine ganz persönlichen Schlußfolgerungen daraus ziehen, wie z.B. die Bedeutung eines „Leben in Frieden“ für uns alle. db