Stefanie Seufert: Touch #4, 2019, aus der Serie Touch, 2019, Fotogramm und S/W Negativ, analoger Farbabzug, 120 x 85 cm © Stefanie Seufert
Stefanie Seufert: Touch #4, 2019, aus der Serie Touch, 2019, Fotogramm und S/W Negativ, analoger Farbabzug, 120 x 85 cm © Stefanie Seufert
Photograph*in
Sibylle Bergemann, Nan Goldin, Helga Paris, Ute Mahler, Stefanie Seufert, Heidi Specker, Andrzej Steinbach, Herbert Tobias, Tobias Zielony u.a.
Ausstellungsdatum
-
Name der Galerie / Museum / Ausstellungsort
Beschreibung

Das vielstimmige Nebeneinander der fotografischen Szenen Berlins steht im Fokus der Jubiläumsausstellung des European Month of Photography Berlin 2023 im Amtsalon, ein in der Stadt noch neuer Ort für Kunst und Kultur. Auf vier Etagen werden 40 in Berlin lebende Künstler*innen, die die fotografische Bildkultur in unserer Stadt mitunter seit vielen Jahrzehnten entscheidend prägen, in Beziehung zueinander gebracht. So ist auch das Leitmotiv zu dieser Ausstellung und zum Festival insgesamt zu verstehen: Mit Touch drückt sich zuallererst der Wunsch nach Verbindung oder Verstetigung von Kontakt aus – keep in touch!

Das Motiv des Kontakts aber reicht weiter: Unsere Körper und unser Erleben haben sich nicht zuletzt durch die Erfahrung einer globalen pandemischen Gefahrenlage verändert. Wir leiden unter dem Entzug von Reizung, die mit Berührung verbunden ist. Wie aber – so möchten wir im Umkehrschluss fragen – können wir uns von Bildern berühren lassen? Was sind die Mechanismen dieses immer wieder magischen Moments? Bilder werden nicht über den Tastsinn wahrgenommen – zumeist dürfen sie gar nicht angefasst werden –, sondern über den Sehsinn. Um von Bildern berührt zu werden – being touched –, muss also ein anderes, vom Körper abgelöstes, nicht mehr taktiles Sensorium greifen. „Berühre mich nicht, denn ich berühre dich, und diese Berührung ist derart, dass sie dich auf Abstand hält“, schreibt Jean-Luc Nancy in Noli Me Tangere und benennt damit den entscheidenden Mechanismus von Nähe und Distanz, der auch in der Kunst wirkt.

Mit den jüngsten technologischen Entwicklungen jedoch scheinen sich Momente der Distanz gegenüber dem Gegenstand der Abbildung aufzulösen: Berührungsgeräte – touch devices – suggerieren eine größer werdende Nähe zum Objekt der Aufnahme. Das entscheidende Instrument ist der Touchscreen. Allerdings ergibt sich mit digital erzeugten Bilddaten offenbar keine neue Form von Wahrhaftigkeit (oder Nähe), ihre Betrachtung, insbesondere in den sozialen Netzwerken, ist flüchtig geworden. Das Bild ist unmittelbar da und schon wieder weg. Es wird abgelöst von anderen, Algorithmen gesteuerten Bilddaten, die unvermittelt nebeneinander auf unseren Screens aufscheinen. Wie verändert sich dadurch das Verhältnis von taktiler Wahrnehmung und optischer Erkenntnis? Ist der Abstand zum Bild kleiner geworden? Sind wir jetzt direkter in Kontakt? Und welchen Einfluss hat letztlich die Omnipräsenz digitaler Bilder in materiell ausformulierten künstlerischen Arbeiten?

In der Montage ganz unterschiedlicher fotografischer oder fotografiebasierter Bilder geht die Ausstellung Touch. Politiken der Berührung diesen Fragen nach. Damit zeigt sie einerseits Verbindungs- und Kontaktstellen auf. Andererseits steht sie für die Singularität des einzelnen Werkes ein und seiner in ihm wirkenden Mechanismen von Berührung und Abstand, von Kontakt und Distanz. So sensibilisiert Touch im Rahmen des EMOP Berlin 2023 für die Fotografie als das entscheidende Bildmedium unserer Gegenwart und seine Bedeutung in künstlerischen Zusammenhängen.

Kuratiert von Maren Lübbke-Tidow und Rebecca Wilton