Manfred Hamm, Lohnhalle, Salzgitter-Gebhardshagen, Schacht Haverlahwiese I, Lohnhalle mit Zugängen zu den Steigerbüros und Waschkauen, 1989, Ed. I/II, 178 x 251 cm. Courtesy the artist and Galerie Georg Nothelfer
Manfred Hamm, Lohnhalle, Salzgitter-Gebhardshagen, Schacht Haverlahwiese I, Lohnhalle mit Zugängen zu den Steigerbüros und Waschkauen, 1989, Ed. I/II, 178 x 251 cm. Courtesy the artist and Galerie Georg Nothelfer
Eröffnungsdatum
Photograph*in
Damien Daufresne / Manfred Hamm
Ausstellungsdatum
-
Name der Galerie / Museum / Ausstellungsort
Beschreibung

Die Galerie Georg Nothelfer freut sich in der Schau „still. there“ zum ersten Mal zwei Künstler gegenüberzustellen, die sich mit den Mitteln der Fotografie dem Thema Zeit und Raum auf unterschiedliche Weise nähern. Während Manfred Hamm (*1944 in Zwickau) in seinen Fotos dem Zustand des Vergangenen nachspürt, fängt Damien Daufresne (*1979 in Paris) die Flüchtigkeit des Moments mittels Fotografie, Zeichnung und Film ein.

Alles liegt in der Kunst des Verschwindens. Allerdings muss dieses Verschwinden auch Spuren hinterlassen, muss es der Ort des Erscheinens des Anderen, der Welt, des Gegenstandes sein.

Jean Baudrillard, 1994

Mit der Erfindung der Fotografie tritt eine neue Zeitlichkeit in das Bild und seine Betrachtung.

Was wir auf einem Foto sehen, war wirklich da und ist vergangen. Das unterscheidet fotografische von synthetischen Bildern, wie die der Malerei.

Die Eigenart des fotografischen Lichtbildes, ein physischer Abdruck des Dargestellten in einem realen Moment zu sein, erkannte bereits William Henry Fox Talbot, einer der Erfinder der Fotografie. „Es ist so gewesen“, konstatiert Roland Barthes ein Foto betrachtend und erschauert, wie Siegfried Kracauer ein halbes Jahrhundert zuvor, über dessen gespenstische Anmutung. Als sichtbare referentielle Evidenz eines Augenblicks pocht die Fotografie auf Wahrheit und Aktualität. Gleichzeitig stößt sie uns auf die Vergänglichkeit des Abgebildeten, zeugen ihre Bilder von Spuren, die in die Vergangenheit führen.

In den Fotografien Manfred Hamms findet sich der Zustand des Verschwindens im Bildmotiv selbst. Die Orte, die der 1944 in Zwickau geborene Fotograf seit mehreren Jahrzehnten europaweit aufsucht, sind oftmals verlassene, vergessene Orte, deren schwindende Bedeutung er mit seinen Aufnahmen und Publikationen festhält und archiviert. Kulturbauten, Bahnhöfe oder alte Industrieanlagen, die Hamm als „antike Stätten von morgen“ bezeichnet, sind nüchtern, häufig zentralperspektivisch, in diffusem Licht und immer ohne Menschen abgebildet. Damit befindet sich Hamm in der Tradition der Mission Héliographique, durch welche in Frankreich 1852 erstmals in großem Umfang historische Architektur und Denkmäler fotografisch dokumentiert wurden. In Hamms Aufnahmen erscheinen die Gebäude als Manifestation des Vergänglichen. Insbesondere in den Schwarzweiß-Fotografien sind die Objekte in den nächtlichen Mantel des Gestern gehüllt.

Schwarzweiß ist auch die Bilderwelt von Damien Daufresne. Auf den Kameralinsen liegende Staubpartikel tauchen mit anderen zufälligen ‚Störungen’ aus dem technisch-chemischen Herstellungsprozess als visuelle ‚Patina‘ in den körnigen, dunklen Fotografien auf. Flüchtige Momente sind darin festgehalten, wie ein Vogelflug, ein Lichtschein über einem wolkenverhangenen Meer, ein Tuch im Wind, und auch in den stillen, musikuntermalten Filmbildern: immer wieder dieses eine Mädchen – wie es über die Wiese läuft, Grashüpfer fängt, ins Wasser taucht. Wir kennen die Bilder – von unseren Müttern, Töchtern, von uns selbst. Wir erkennen sie, weil der 1979 in Paris geborene Künstler es schafft, sie uns als Erinnerungsbilder vorzuführen, was uns wehmütig werden lässt. Wir kennen und erkennen aber noch etwas anderes – etwas, das tröstet. Die Filmcollage von Un arbre. Un animal. Quelqu’un. besteht aus leicht verschobenen Wiederholungen und Rhythmisierungen, etwa wehendes Haar, dessen Aufnahmen bis zum Stillstand verlangsamt und überblendet werden – und dann an Daufresnes Kohle-Kreide-Zeichnungen erinnern, die – Palimpsesten ähnlich – vielfach überlagerte Schichtungen und Schabungen aufweisen. Der Film lässt archetypische Bilder aufscheinen, die auf eine ewige Wiederkehr deuten. Die Vergänglichkeit in ihrer Absolutheit scheint in diesem Moment aufgehoben. (Dr. Cora Waschke)

Damien Daufresne

Damien Daufresne bewegt sich zwischen den Disziplinen Malerei, Zeichnung, Fotografie und Film. Dabei sind Licht, Dunkelheit und Bewegung die Elemente, womit er Körper oder Körperhaftes suggeriert. "Das physische Material ist ihm wichtig", so die Autorin Cara Wuchold, "Neben der Kohle und Kreide hier also das Fotopapier, die Filmrollen und auch die Chemikalien. Gerade diese aggressiven, unter die Haut gehenden Stoffe erzeugen den notwendigen Widerstand. Sie reagieren – und er reagiert darauf. Was die Arbeiten eint: Sie verzichten auf Farbe, das Schwarz-Weiß dominiert. Die Vielfältigkeit von Grau zeigt sich in den jüngst entstandenen großformatigen, flächigeren Bildern. Das Grau schimmert hier bräunlich, gelblich, bläulich. In seinen Zeichnungen, Fotografien und Filmen schafft Daufresne Momente der Verdichtung, denen ein dunkles Geheimnis oder auch ein noch verdecktes Strahlen innewohnt. Er legt darin die Poesie der Dinge frei." Daufresne arbeitet auch mit verschiedenen Verlagen, wie "Fata Morgana", "Delpire", "Origini edizioni" und "Blow-Up" zusammen.

Manfred Hamm

Eines der zentralen Themen von Manfred Hamm, der sich seit 1977 mit teils preisgekrönten Bildbänden international einen Namen gemacht hat, ist das der Vergänglichkeit. Zu seinen bekanntesten Aufnahmen gehören Serien über Ruinen des Industriezeitalters, die er als „antike Stätten von morgen“ versteht. Neben groß angelegten, konzeptuellen Fotoprojekten zu Aspekten der europäischen Industriekultur, Orten des Handels und Kulturbauten behielt er immer auch seine Wahlheimat Berlin im Blick. Hamms Berliner Werk stellt einen einzigartigen Bildfundus zur Geschichte und Architektur der Stadt dar. Es entstand in den Jahren 1972 bis 2010 und enthält neben Stadtbild-, Architektur- und Luftbildaufnahmen auch Ansichten von Berliner Gärten und Parks sowie sensible Portraits von Berliner Künstlerinnen und Künstlern, die Hamm teilweise über Jahre begleitete.  Seine Werke sind in zahlreichen nationalen und internationalen Sammlungen vertreten. 2020 erwarb das Stadtmuseum Berlin mit Unterstützung des Berliner Senats und der Kulturstiftung der Länder das umfangreiche Berlin-Archiv des Fotografen.