© Oliver Mark
© Oliver Mark
Photograph*in
Oliver Mark (DGPh)
Datum
-
Name der Galerie / Museum / Ausstellungsort
Beschreibung

Autoren kennen das, die Angst vor dem leeren Blatt, das vorwurfsvolle Blinken des Cursors, der auf

der Stelle wie festgefroren verharrt. Maler kennen ihn auch, den Horror vacui, die Panik angesichts

der Leere einer unberührten Leinwand. Fotografen eher nicht, schliesslich zeigt der Sucher stets ein

Gegenbild. Muss ja nicht schön sein, aber ist eben da – leerer Akku oder vergessene

Verschlusskappe mal außen vorgelassen. Sowas passiert einem seriösen Daguerreotypisten

natürlich nicht.

Oliver Mark nun packt die Leere bei den Hörnern – und das mitten in den Tempeln der

Kunstehrfurcht. An den Orten, in denen gewöhnlich die Blockbuster der Kunstgeschichte zur

gefälligen Betrachtung altarisiert an den Wänden hängen – Museen und Galerien. Das Gemälde

steht im Zentrum der Fluchtlinie, auf Augenhöhe der Betrachter, meist in ornamentschweren

Rahmen, als würde das Auge nicht schon genug Blickführung erfahren. Das Bild wird dem

Betrachter aufgezwungen. Flughafenarchitekturen ähnelnd endet der Weg des Besuchers

unweigerlich im Duty-free-Shop des Kunstkanons, das Kunstwerk an sich füllt das

Wahrnehmungsspektrum. Man kann eigentlich nicht vorbeischauen.

Mark aber schaut vorbei, er positioniert seine Kamera auf Fussbodenhöhe und knipst aus

Froschperspektive, einzig sein Portemonnaies als Stativ nutzend. Die Entnahme oder Zugabe von

Geldstücken bestimmt den Neigungswinkel des Objektivs und damit das Blickfeld. Wenn das nicht

eine messerscharfen Analyse des Kunstmarkts ist, eine beißende Kritik an der Deutungshoheit des

Geldes, dann fresse ich eine kritische Gesamtausgabe von Bazon Brock. Oder, Mark ist einfach nur

gestolpert – und fand sich unvermittelt wieder in der Nischenwelt des Mikroversums wie der atomar

schwindende Protagonist in Jack Arnolds Filmklassiker der 1950er Paranoia The Incredible

Shrinking Man. Oder, Mark hat einfach nur Rücken und macht das Beste aus seiner Situation, bevor

er es zum Osteopathen schafft. Aber ich schweife ab.

Egal wie er zu seinem Blick gekommen ist, die Perspektive seiner Fotografien verändert

Wahrnehmung. Plötzlich rücken Details ins Rampenlicht: Steckdosen, Schutzgitter, Luftbefeuchter,

Feuerwehrschläuche, Notausgangsschilder, Scheuerleisten, Abstandhalter – und Leere. Die

Unaufgeregtheit monochromatisch getünchter Wände, rissiger Kanten, dunkler Wände, die nur

Ausschnitte der präsentierten Bilder preisgeben, für die die Wand gemacht wurde. Statt im Motiv

von de Chirico zu sinnieren, verliere ich mich im Capriblau der Wandfarbe, die das Foto dominiert.

In der Chillout-Zone des Pantone-Raves einfach mal nichts erkennen, die Gravitas des Gemäldes

ignorieren, nur Leere mit den Augen ertasten.

Das hat nicht nur einen meditativen Effekt, es rekontextualisiert Kunst. In dem Moment, wo

man sich der Stützräder der Präsentationsmodi gewahr wird – die Stellwände, Absperrungen,

Bewegungsmelder, Sitzbänke – geht Benjamins Aura des Originals flöten. Das Kunstwerk erscheint

als Gebrauchsgegenstand neben anderen: hier Steckdose, dort Renaissance. Man erkennt wieder,

dass Kunst ähnlich wie Papiergeld funktioniert: Ihre Artefakte werden mit Bedeutung aufgeladen,

ihr Materialwert ist oft genug gering. Ihr Schatz liegt in der gemeinsamen Vereinbarung aller, dass

genau diese Kunst Relevanz besitzt.

Und im Blickwinkel. Wir sind eine optisch getriebene Spezies. Aus dem Auge aus dem Sinn

gilt nicht nur für Kleinkinder. Wir konstruieren Realität über den Sehnerv, viel mehr als über

Fühlen oder Hören. Iconic Turn und so. Nimmt man dem Iconic Turn nun die Motive, ist er dann

noch existent? Oder gilt Wazlawicks Verdikt, man könne nicht nicht kommunizieren, auch in der

Kunst? Man kann nicht nicht abbilden. Ist Malewitsches Schwarzes Quadrat nun Naturalismus,

Symbolismus, Abstraktion oder Vorstudie für die Farbfächer der Druckindustrie? Die Magie des

Volltons fasziniert. Die Abwesenheit von Muster irritiert unser Gehirn, das stets nach

Wiedererkennbarkeit fahndet. Die Wand anstarren: Oliver Mark hat der Redewendung wieder neues

Futter gegeben – und mir den Wunsch, beim nächsten Museumsbesuch einmal alles im

Schneidersitz zu betrachten.