© Christopher Thomas
© Christopher Thomas
Eröffnungsdatum
Redner*in
Bärbel Bas, Präsidentin des Deutschen Bundetages; Prof. Monika Grütters, Kulturstaatsministerin a.D.
Photograph*in
Christopher Thomas
Ausstellungsdatum
-
Name der Galerie / Museum / Ausstellungsort
Beschreibung

 

Ein Gelübde aus dem Jahre 1633 bewegt bis heute einen ganzen Ort und fasziniert Besucher aus aller Welt: Damals wurde Oberammergau von der Pest verschont, und seine Bewohner haben ihr Versprechen, alle zehn Jahre ein Passionsspiel aufzuführen, bis heute erfüllt. Im Stile des Barocktheaters stellen die Oberammergauer die Passion Christi als die zentrale Botschaft des Christentums vom Leid und seiner Überwindung dramatisch auf die Bühne. Es wechseln gesprochene Botschaften, mitreißende Spielszenen und stille Andachtsbilder vom Nachmittag bis in die Nacht, es werden über 100 Aufführungen vom Mai bis in den Herbst unter Beteiligung von nahezu 2.000 Darstellern aus den 5.000 Einwohnern des Ortes gegeben.

Im Jahre 2010 wurden Text und Inszenierung von Christian Stückl, zugleich Intendant des Münchner Volkstheaters und 1986 erstmals zum Spielleiter gewählt, grundlegend erneuert. Der Münchner Fotograf Christopher Thomas sollte eigentlich nur den Spielleiter für die Süddeutsche Zeitung porträtieren. Aus den Gesprächen während dieser Porträtsitzung ergab sich der Wunsch, auch die Spiele fotografisch zu dokumentieren. Christopher Thomas stellte jedoch bald fest, dass ihn diese Aufgabenstellung nicht inspirierte. So entwickelte er ein gänzlich neues Konzept, das der Intention des Passionsspieles näherkommt, als es eine bloße Dokumentation gekonnt hätte: Christopher Thomas lässt den Betrachter die Dramatik des Spieles ebenso wie die traumverlorenen, meditativ-stillen Augenblicke nacherleben. Er konzentriert sich auf einzelne Szenen mit wenigen Akteuren, oft zeigt er nur eine einzelne Person. Eine dramatische Beleuchtung lässt die markanten Gesichter der Laienschauspieler aufleuchten, holt sie aus dem Dunkel des Hintergrundes, dessen braun- bis schwarzfarbige Tonigkeit die mystische Aura von Zeitlosigkeit vermittelt. Fast könnte man glauben, in Spaniens „Goldenes Zeitalter“ (El Siglo de Oro) versetzt zu sein, als Maler wie Francisco de Zurbarán oder Jusepe de Ribera in der Nachfolge Caravaggios dramatische Hell-Dunkel-Szenerien für ihre Heiligengemälde schufen.

Diese Annäherung der Fotografien an den Chiaroscuro-Stil, ein anderer Name für die Hell-Dunkel-Malerei des spanischen „Goldenen Zeitalters“, findet ihre Entsprechung in dem Umstand, dass in genau diese Zeit das Pestgelübde der Oberammergauer fällt. Wie für die Maler des 17. Jahrhunderts ist dieser Stil daher für Christopher Thomas keine ästhetische Spielerei. Es geht ihm um die Vergegenwärtigung und Verlebendigung der Passionsszenen, deren Lichtregie die Dramatik des Geschehens, die Schmerzen des Gekreuzigten oder die Verzweiflung des Judas geradezu körperlich miterleiden lässt. Und doch steht am Ende des Zyklus das Bild der aufrecht knienden Maria Magdalena, die zum Grabe kommt und dort, vom Betrachter abgewandt und wie in weite Ferne schauend, von zwei Engeln erfährt: „Was suchet ihr den Lebenden bei den Toten? Er ist nicht hier, sondern er ist auferstanden.“ (Lukas 24,5-6) So gelingt es Christopher Thomas, kongenial zu den Malern des „Goldenen Zeitalters“, mit den Mitteln der Fotografie den Kern der christlichen Botschaft zu veranschaulichen.

Es ist kein Zufall, dass Christopher Thomas sich dem Thema der „Passion“ gestellt hat, da er sich bereits seit Jahren mit Leid und Not auseinandersetzt, indem er als Fotograf für Hilfsorganisationen wie die Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe oder Reconstructing Women International weltweit unterwegs ist. Ursprünglich war er einer der bedeutendsten deutschen Werbefotografen, ehe er sich der künstlerischen Fotografie zuwandte. Seine Handschrift entwickelte er in einer Reihe von stimmungsvollen Städteporträts, wie den „Münchner Elegien“ (2005) oder „Paris – Stadt des Lichts“ (2014), in denen seine Affinität zur Auseinandersetzung mit klassischen Traditionen und zur Malerei aufscheint. Zuletzt entführte er in dem Zyklus „Bittersweet“ (2021) mit surrealen Bildern in ein Reich zwischen Wachen und Träumen, das, darin nicht unähnlich manchen Szenen aus der „Passion“, den Horizont menschlicher Erfahrung abmisst: „It is about joy and fear, it is melancholic and warm, it is about gain and loss, it is about the beginning and the end of life and the whole time in between.“ (Christopher Thomas)

Text: Dr. Andreas Kaernbach

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